Nach dem Aus für den Berliner Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht haben in der Bundeshauptstadt mehrere Tausend Menschen für einen bundesweiten Mietenstopp demonstriert.
Die Protestierenden kritisierten den Beschluss des höchsten deutschen Gerichts und forderten mehr politisches Handeln gegen den «Mietenwahnsinn». Viele Teilnehmer hatten Kochtopfdeckel mitgebracht, mit denen sie kräftig Lärm erzeugten. Motto: «Wenn Sie uns einen Deckel nehmen, kommen wir mit Tausenden Deckeln wieder!» Die Demonstranten versammelten sich zunächst am Hermannplatz in Neukölln und begannen dann einen Aufzug, der bis zum Kottbusser Tor in Kreuzberg führen sollte. Zu dem Protest aufgerufen hatte der Berliner Mieterverein.
Die Polizei sprach von einer Teilnehmerzahl «im mittleren vierstelligen Bereich», die Veranstalter von Tausenden Demonstranten. Laut Polizei trugen zum Schutz vor Corona praktisch alle eine Maske und bemühten sich zudem, etwas Abstand voneinander zu halten.
Nach der Beendigung der Demo durch den Versammlungsleiter hätten 400 Teilnehmer den Ort nicht verlassen wollen, sagte ein Sprecher der Polizei am Abend. Aus dieser Gruppe heraus sei es vereinzelt zu Straftaten gegenüber Polizeibeamten gekommen. In der Folge seien zunächst Durchsagen gemacht und dann polizeiliche Maßnahmen ergriffen worden. Nähere Angaben machte der Sprecher zunächst nicht. Der «Tagesspiegel» berichtete von Flaschenwürfen und Rangeleien. Nach dem Bericht soll es zu Festnahmen gekommen sein. Die Polizei bestätigte das zunächst nicht.
Das Bundesverfassungsgericht hatte das seit mehr als einem Jahr geltende Berliner Mietendeckel-Gesetz in einem am Donnerstag verkündeten Beschluss für nichtig erklärt. Für das Mietrecht sei der Bund zuständig, hieß es zur Begründung. Hunderttausende Menschen in Berlin müssen sich damit auf höhere Mieten und teils saftige Nachzahlungen einstellen.
Der Deutsche Mieterbund forderte den Bund auf, «die Mietenexplosion in vielen deutschen Städten zu stoppen». Auch SPD, Linke, Grüne und Sozialverbände machen sich für eine stärkere Regulierung der Mieten auf Bundesebene stark – bis hin zu einem Mietendeckel für ganz Deutschland. Das Thema dürfte damit im Bundestagswahlkampf eine wichtige Rolle spielen.
Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) hatte die Entscheidung aus Karlsruhe begrüßt. Der Mietendeckel sei «der völlig falsche Weg» gewesen. «Er hat für Unsicherheit auf den Wohnungsmärkten gesorgt, Investitionen ausgebremst und keine einzige neue Wohnung geschaffen.» Auch Immobilien- und Bauwirtschaft, Union und FDP hatten erleichtert reagiert. An der Frankfurter Börse legten Werte von Immobilienkonzernen zu.
Für die rot-rot-grüne Regierungskoalition in Berlin, die die Spirale aus stetig steigenden Mieten stoppen wollte, ist der Beschluss der Verfassungsrichter eine krachende Niederlage. Sie hatte zum 23. Februar 2020 die Mieten für 1,5 Millionen Wohnungen auf dem Stand von Juni 2019 eingefroren. Das betrifft neun von zehn Mietwohnungen.
Für den Fall eines Mieterwechsels sah das Gesetz vor, dass es bei der alten Miete bleibt oder Obergrenzen greifen. Mieten, die um mehr als 20 Prozent über den Obergrenzen liegen, galten als zu hoch. Seit dem 23. November waren betroffene Vermieter gesetzlich verpflichtet, die Mieten für mehrere Hunderttausend Wohnungen zu senken. Die gesamte Regelung war auf fünf Jahre befristet, also bis 2025.
Ein solches Gesetz hätte ein einzelnes Bundesland aber gar nicht beschließen dürfen, entschieden die Verfassungsrichter. Das Mietrecht sei seit dessen Inkrafttreten im Jahr 1900 essenzieller Bestandteil des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Die Regelungen dort seien sehr ausdifferenziert.
Spätestens mit dem Erlass der Mietpreisbremse, die seit 2015 in besonders begehrten und teuren Wohngegenden greift, habe der Bund den Bereich abschließend geregelt, so die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats. Sie sei mehrfach nachjustiert worden. Dabei habe sich der Bund um Ausgleich zwischen den grundrechtlich geschützten Interessen von Mietern und Vermietern bemüht.
Für viele Mieter hat das erhebliche Folgen. Die Vorschriften des Mietendeckels seien ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens nichtig, erklärte die Senatsverwaltung für Wohnen. «Für die Mieterinnen und Mieter bedeutet dies, dass sie wieder die mit ihren Vermieterinnen und Vermietern auf Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuches vereinbarten Mieten zu entrichten und gegebenenfalls auch die Differenz zwischen der Mietendeckelmiete und der Vertragsmiete nachzuzahlen haben.»
Nach Angaben des Berliner Mietervereins droht Mietern zwar keine sofortige Kündigung. Allerdings gebe es «eine alsbaldige Rückzahlpflicht der Differenzbeträge». «Wer die offenstehenden Beträge nicht unmittelbar leisten kann, sollte mit dem Vermieter in Kontakt treten», empfahl der Verein. Nach Angaben des zuständige Senators Sebastian Scheel (Linke) will der Senat Betroffenen mit «sozial verträglichen Lösungen» helfen.
Der Wohnungskonzern Vonovia, der in Berlin etwa 42.000 Wohnungen besitzt, will keine Nachforderungen stellen. Den Mietern sollten «keine finanziellen Nachteile aufgrund getroffener politischer Entscheidungen entstehen», erklärte Vorstandschef Rolf Buch. Der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen hingegen will auf Nachforderungen nicht verzichten. Im Durchschnitt gehe es um 430 Euro pro Mieter, teilte das Unternehmen mit.
Dem Konzern gehören in Deutschland mehr als 155.400 Wohnungen, rund drei Viertel davon in der Hauptstadt. Dort sammelt die Bürgerinitiative «Deutsche Wohnen & Co. enteignen» seit geraumer Zeit Unterschriften für einen Volksentscheid über die Enteignung von Immobilienunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen.
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