24. November 2024

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EU-Aufbaufonds: Karlsruhe erlaubt deutsche Beteiligung

In Karlsruhe ist der Eilantrag eines Kläger-Bündnisses um den Ex-AfDler Lucke gescheitert. Damit kann Deutschland ein EU-Paket auf den Weg bringen, das bei der Bewältigung der Coronakrise helfen soll.

Deutschland steht dem Start des 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds der EU nicht mehr im Weg.

Das Bundesverfassungsgericht wies den Eilantrag eines Kläger-Bündnisses um den früheren AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke ab. Mit der am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung kann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das von Bundestag und Bundesrat beschlossene Ratifizierungsgesetz nun unterzeichnen. Damit gibt Deutschland grünes Licht für das Finanzierungssystem der EU bis 2027, das auch den Fonds umfasst. Es wird aber ein Hauptverfahren in Karlsruhe geben. (Az. 2 BvR 547/21)

Das im Sommer 2020 verabredete Paket soll den 27 EU-Staaten helfen, nach der Pandemie wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Einen Teil des Geldes gibt es als Zuschüsse, einen Teil als Darlehen. Dafür wollen die EU-Staaten gemeinsam Schulden aufnehmen. Die EU-Kommission kann mit der Aufnahme der Kredite und der Auszahlung aber erst beginnen, wenn alle den Beschluss ratifiziert haben.

Dabei war auch Deutschland zuletzt ein Wackelkandidat: Wegen des Eilantrags hatte das Verfassungsgericht dem Bundespräsidenten zunächst untersagt, das Gesetz zu unterzeichnen. Damit wollten die Richter verhindern, dass bis zu ihrer Entscheidung Fakten geschaffen werden, hinter die man nicht mehr zurückkäme.

Luckes «Bündnis Bürgerwille», das nach eigenen Angaben aus mehr als 2200 Unterstützern besteht, hält vor allem die gemeinschaftliche Verschuldung für unzulässig. Diese sei ein «krasser Vertragsbruch».

Mit der eigentlichen Verfassungsbeschwerde der Kläger wird sich das Gericht später ausführlich beschäftigen. Der Ausgang dieses Verfahrens sei offen, teilten die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats mit. «Bei summarischer Prüfung» im Eilverfahren sehen sie aber keine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Verfassungsverstoß. Deshalb darf Deutschland den Fonds fürs erste mit auf den Weg bringen. Ein verspäteter Start könne irreversible Folgen haben, stellte das Gericht fest. Die Bundesregierung befürchte außerdem «erhebliche außen- und europapolitische Verwerfungen».

Bundesfinanzminister Olaf Scholz sprach von einer guten Nachricht und einem «wichtigen Schritt in der Bekämpfung der Pandemie in ganz Europa». Es sei richtig, mit enormen Mitteln dazu beizutragen, Arbeitsplätze und Unternehmen zu retten und dies in Europa gemeinsam zu tun, sagte der SPD-Politiker im Bundestag.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kommentierte: «Die EU bleibt auf Kurs bei der wirtschaftlichen Erholung nach dieser beispiellosen Pandemie.»

Der Zweite Senat schreibt schon jetzt, dass das eigentliche Verfahren viel Zeit in Anspruch nehmen werde. Notfalls könnten die Richter noch den Europäischen Gerichtshof einschalten und Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat zum Eingreifen verpflichten.

Massive Bedenken scheinen zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht zu bestehen. Höhe, Dauer und Zweck der von der EU-Kommission aufzunehmenden Mittel seien begrenzt, hieß es in der Mitteilung. Das gleiche gelte für eine mögliche Haftung Deutschlands. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich im vergangenen Jahr ähnlich geäußert. Sie sprach damals mit Blick auf den Wiederaufbaufonds von einem «einmaligen Kraftakt».

Die ersten Hilfsgelder sollen nach jetzigem Stand vom Sommer an fließen. Allerdings fehlt auch noch die Ratifizierung in anderen Ländern. Bis zu diesem Mittwoch hatten nach Angaben aus der EU-Kommission 17 der 27 Mitgliedstaaten alle notwendigen Schritte abgeschlossen. Außerdem wird noch an den nationalen Aufbauplänen gefeilt. Die Staaten sollen vorab genau darlegen, wofür sie die Milliarden verwenden wollen – eigentlich bis zum 30. April. Es gibt aber Zweifel, ob das alle schaffen werden.

Aus dem Aufbaufonds RRF werden insgesamt 312,5 Milliarden Euro als Zuschüsse an die EU-Staaten verteilt und bis zu 360 Milliarden Euro als Darlehen (jeweils in Preisen von 2018). Neben den 672,5 Milliarden Euro für die Aufbau- und Resilienzfazilität sind auch noch 77,5 Milliarden Euro Corona-Extragelder für EU-Programme eingeplant.

Da die Inflation bei der Auszahlung der Gelder berücksichtigt wird, kann Deutschland nach derzeitigem Stand 25,6 Milliarden Euro an Zuschüssen erwarten. Spanien darf als wirtschaftlich besonders stark von der Pandemie betroffenes Land sogar mit knapp 70 Milliarden Euro rechnen, Italien mit rund 69 Milliarden Euro. In sogenannten laufenden Preisen wird ein Gesamtpaket von rund 800 Milliarden Euro erwartet.

Wegen des Aufbaufonds ist in Karlsruhe inzwischen auch eine Organklage der AfD-Fraktion gegen Bundestag und Bundesregierung anhängig. Außerdem hat eine Privatperson Verfassungsbeschwerde eingereicht, wie ein Gerichtssprecher sagte. Auch hier gibt es jeweils Eilanträge. Nach der jetzigen Entscheidung dürften diese aber keinen Einfluss auf die weitere Entwicklung haben.

Dementsprechend äußerte sich auch EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn am Mittwoch zuversichtlich. Er sei optimistisch, dass jetzt alle Mitgliedstaaten die Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses innerhalb der kommenden Wochen abschließen könnten.

Von Anja Semmelroch und Ansgar Haase, dpa