Ein Jahr nach den fatalen Bohrungen klaffte ein Riss in Wolfgang Trchs Hausfassade – «so breit, dass man von drinnen den Arm nach draußen durchstecken konnte», erzählt der 79-Jährige.
Er ist einer von mehr als 200 Menschen, die heute wegen eines missglückten Geothermieprojekts im südbadischen Städtchen Staufen Probleme haben: Da rollen Stifte vom Tisch, weil die Böden schief sind, da pfeift der Wind durchs Mauerwerk, da bröckelt der Putz von den Wänden.
Hintergrund sind ungenügend abgedichtete Bohrungen. Durch sie gelangt Wasser in eine quellfähige Schicht im Untergrund. Diese wiederum nimmt seither an Volumen zu und hebt die Stadt nach oben, stellenweise schon um mehr als einen halben Meter.
Staufen als Chiffre für misslungene Geothermie
Staufen ist zu einer Art Chiffre geworden für das, was bei der Geothermie schiefgehen kann. Und dann ist da noch das benachbarte Elsass, wo zuletzt wegen Geothermieanlagen immer wieder die Erde bebte. Trotzdem herrscht in der Region Aufbruchsstimmung in Sachen Erdwärme: Unternehmen erforschen den Untergrund auf sein Potenzial, Tausende Haushalte mehr sollen künftig mit der Wärme aus der Tiefe versorgt werden. Hier – im Oberrheingraben – lassen sich beispielhaft die Probleme und die Chancen der Geothermie als grüne Energie- und Wärmequelle in Deutschland beschreiben. Was kann sie für die Energiewende leisten?
Zuerst muss man mal unterscheiden: zwischen tiefer Geothermie, mit Bohrtiefen von mehr als 400 Metern, und oberflächennaher Geothermie, mit geringeren Bohrtiefen. Bei der tiefen Geothermie wird Thermalwasser mit bis zu 150 Grad Celsius aus tiefen Erdschichten in Strom oder Wärme verwandelt. Bei der oberflächennahen Geothermie werden Wärmepumpen genutzt, mit deren Hilfe Einzelgebäude oder Wärmenetze beheizt werden – oder Kühlleistung angeboten wird.
37 Anlagen zur Nutzung der tiefen Erdwärme
Laut Bundesverband Geothermie gibt es in Deutschland 37 Anlagen zur Nutzung der tiefen Erdwärme. Besonders geeignet sind dafür laut Bundeswirtschaftsministerium das süddeutsche Molassebecken im Alpenvorland, der Oberrheingraben und die Norddeutsche Tiefebene. Allerdings ist der Beitrag der Tiefengeothermie zur Strom- und Wärmeversorgung bislang überschaubar: Geothermieanlagen decken laut Ministerium nur 0,03 Prozent des Bruttostromverbrauchs in Deutschland, in Wärmenetzen sind es 0,5 Prozent der Wärme.
Der Energiedienstleister Badenova scheint sich von alldem – und von Vorbehalten in der Region – nicht entmutigen zu lassen. Das Unternehmen sicherte sich jüngst das Recht, den Untergrund in einem Gebiet nahe Freiburg auf sein Erdwärmepotenzial zu untersuchen. Hier herrschten für die geplante Wärmenutzung sehr, sehr gute Bedingungen, sagt Simon Laub, Projektleiter tiefe Geothermie. Der Untergrund werde genauestens untersucht, bevor in Zukunft ein Heizwerk für 10 000 Haushalte entstehen solle. Man wisse, dass Staufen hier immer ein Thema sei – aus den Fehlern, die andere dort gemacht hätten, habe man aber gelernt.
Doch Staufen – laut Branche und Umweltexperten ein schlimmer Einzelfall und mit anderen Vorhaben nicht zu vergleichen – ist nicht das einzige Projekt, das in der Region Sorgen auslöst. Im nahe gelegenen Elsass bebte wegen Tests in einer Geothermieanlage in Vendenheim bei Straßburg im Herbst die Erde. Das Ärgernis ging auch dann noch weiter, als die Tests bereits ausgesetzt waren. Die Präfektur zog die Reißleine und stoppte das Projekt. Trotzdem kommt es weiter zu Erdbeben, weil sich der Druck im Untergrund normalisiert, wie es aus dem Straßburger Rathaus heißt.
Typische Risiken der Tiefengeothermie
Solche Risiken seien typisch für die Stromerzeugung mittels Tiefengeothermie, sagt Werner Neumann, Sprecher des Arbeitskreises Energie bei der Umweltschutzorganisation BUND. Dazu komme die Gefahr, nach teuren Bohrungen am Ende doch nicht die erhofften Voraussetzungen zu finden. All das sorge mit für die hohen Erzeugungskosten. Sie lägen bis zu fünfmal höher als etwa bei der Wind- oder der Solarenergie. Zur Stromerzeugung könne die Tiefengeothermie in Deutschland absehbar nicht wesentlich beitragen.
Vielversprechender sei die tiefe Geothermie, wenn es nur um Wärmeerzeugung gehe. Das sei kostengünstiger und konkurrenzfähig, wobei die Erdbebenrisiken durch sorgfältiges Bohren gemindert und durch Versicherungen abgesichert werden sollten. «Auf ganz Deutschland gesehen ist das Potenzial aber nicht so groß, kann aber lokal sehr wichtig sein, um Fernwärme aus Kohleheizkraftwerken zu ersetzen», sagt Neumann.
Zu bedenken gibt er darüber hinaus, dass die Erzählung, die tiefe Geothermie liefere unbegrenzt Wärme und damit Energie, so nicht stimme. Das Volumen an heißem Wasser sei begrenzt, sagt der Experte. «Aus dem Erdinneren strömt zwar Wärme nach, aber langsam.» Es könne durchaus sein, dass nach 30, 40 Jahren erst einmal Schluss sei. Wenig bekannt sei auch, dass Wasser aus dem Erdinneren teils radioaktiv belastet sei. Und was die viel gepriesene Klimaneutralität der Technologie angehe, müsse man ebenfalls relativieren, gibt Neumann zu bedenken. «Die Anlagen brauchen Pumpen, und die Pumpen brauchen Strom.» Der wiederum stamme oft von Kohle- oder Atomkraftwerken.
Bleibt die oberflächennahe Geothermie. Hier gibt es laut Wirtschaftsministerium gute Chancen zur Weiterentwicklung. Dabei müsse man allerdings aufpassen, dass der Stromverbrauch der Pumpen im Winter nicht zum Problem werde – wenn alle heizen wollten, aber zeitweilig wenig Strom von Wind und Sonne zur Verfügung stehe, sagt BUND-Experte Neumann. Daher müssten die Anlagen eine gute Effizienz aufweisen, am besten mit Wärmespeichern ausgestattet sein und idealerweise an kommunale Wärmenetze angeschlossen sein.
Wolfgang Trch übrigens, dessen Haus in Staufen kaputt zu gehen droht, sagt, er sei trotz allem ein Freund der Geothermie. Man müsse es nur richtig anstellen.
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