Es rattert und schnaubt und dampft, wenn der Zug durch die Felder nach Berlin rauscht. Eine Dampflok aus dem Museum fährt an besonderen Tagen auf der sogenannten Heidekrautbahn.
Im Alltag fährt auf diesen Gleisen nördlich Berlins niemand mehr in die Hauptstadt. Doch nach Jahrzehnten soll sich das jetzt ändern. Es wird gebaut, die Heidekrautbahn wieder für Pendler fit gemacht, modernen Wasserstoffzüge sollen sie fahren. Denn der Speckgürtel der Metropole wächst. Und ebenso die Staus im Berufsverkehr.
Stillgelegte Zugstrecken gibt es überall in Deutschland, tausende Kilometer hat die Bahn aufgegeben. Weil sie sich nicht rechneten. Jetzt verkündet sie: «Jeder Kilometer Gleis ist aktiver Klimaschutz.» Mehr Strecken sollen wieder ins Netz eingeflochten werden. 20 Vorhaben hat die Bahn nun präsentiert. Schienenfreunde sehen eine Trendwende. Aber eine große Ausbauoffensive ist das noch nicht. Und allein das bislang Angekündigte wird schon ein Kraftakt.
«Hinter uns liegen Schrumpfungsjahrzehnte», sagt Dirk Flege, der Geschäftsführer des Eisenbahn-Lobbyvereins Allianz pro Schiene. Seit 1994 sei 15 Prozent des Schienennetzes abgekoppelt worden. Viele Klein- und Mittelstädte haben keinen Bahnanschluss mehr. Aus Fleges Sicht ein Fehler, der sich rächt: «Das bremst schon heute das Wachstum.»
Denn die Bundesregierung will deutlich mehr Züge aufs Gleis setzen. Mehr Menschen sollen mit der Bahn fahren statt in Autos und Flugzeuge zu steigen. Auch so soll Deutschland seine Klimaziele erreichen.
Die 20 Strecken haben zusammen eine Länge von 245 Kilometern. «Dies ist ganz klar nur der Anfang», sagte Bergmann, der Planungschef der Konzernsparte DB Netz. Bei insgesamt 1300 Kilometer stillgelegter Strecke in DB-Besitz sei eine Reaktivierung nutzbringend. Verglichen mit der Gesamtlänge des deutschen Schienennetzes ist das nicht viel; sie beträgt 33 399 Kilometer.
Und es ist teuer: Es wird mindestens drei Milliarden Euro kosten, die 20 Strecken zu reaktivieren, wie Bergmann kalkuliert. Es ist Geld, dass vor allem von den Bundesländern kommt. Seit einer Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes haben sie mehr Möglichkeiten, Bundesgeld einzusetzen.
Diese sollten sie jetzt aber auch nutzen, fordert der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Es müssten sich auch die Kriterien ändern, mit denen vorab der Nutzen der Projekte standardisiert berechnet wird. Hier komme etwa der Faktor Umwelt zu kurz.
Eine groß angelegte Rückkehr der Bahn in die Fläche ist vorerst nicht in Sicht. Schließlich hatte eine Arbeitsgruppe 350 Vorschläge geprüft. Ein großer Teil der jetzt präsentierten Vorhaben spielt sich auch in Ballungsräumen ab, etwa rund um Düsseldorf und Berlin. In der Hauptstadt wird etwa die sogenannte Siemensbahn wiederbelebt, weil der Industriekonzern an seinem dortigen Standort an der Trasse kräftig investieren will.
Außerdem dauert Bahnbau. Eine neue Buslinie ist in wenigen Wochen etabliert, doch bis wieder Züge auf alten Strecken fahren, vergehen Jahre. Beispiel Heidekrautbahn bei Berlin: Sie wurde 1961 durch den Mauerbau durchtrennt. 2018 wurde die Reaktivierung beschlossen, zwei Jahre dauerte es bis zum ersten Spatenstich, frühestens Ende 2024 fahren die Züge. Und das ist noch relativ schnell.
Wenn Widerstand von Anwohnern hinzukommt, kann es noch länger dauern. Der neue Hauptstadtflughafen BER etwa hat trotz jahrelanger Verspätung noch nicht die optimale Bahn-Anbindung. Klagen bis zum Bundesverwaltungsgericht hatten die Reaktivierung der sogenannten Dresdner Bahn am Stadtrand um Jahre verzögert. Beschlossen 1993, Baubeginn 2019, Fertigstellung vielleicht 2025. Das stellt sogar den Bauverzug beim Flughafen in den Schatten.
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