Gestrandete Reisende, eine nie da gewesene Krise des Tourismus, die Fluggastzahlen am Boden: Bevor die Corona-Pandemie vielen Fluggesellschaften das Genick gebrochen hätte, brachen die Airlines massenhaft die Rechte ihrer Kunden.
Das legt ein Bericht des Europäischen Rechnungshofs nahe. Reisende seien bei gestrichenen Flügen rechtswidrig dazu gezwungen worden, Gutscheine statt Rückzahlungen anzunehmen, kritisieren die Rechnungsprüfer in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht. Rund 7000 Verbindungen seien annulliert worden, Millionen Reisende seien zwischen März 2020 und März 2021 betroffen gewesen.
«Zwar wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Fluggesellschaften und Pauschalreiseveranstaltern zu helfen, doch wurde viel zu wenig getan, um die Rechte von Millionen Menschen in der EU zu schützen», kritisiert Annemie Turtelboom, das für den Bericht zuständige Mitglied des Europäischen Rechnungshofs. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft betonte in einer Mitteilung, man habe sich in einer «absoluten Sondersituation» befunden. Vergleicht man den April 2019 mit dem Folgejahr, brach die Zahl der Fluggastzahlen um 99 Prozent, die Zahl der Flüge um 88 Prozent ein. In entsprechend große Not gerieten die Unternehmen.
Der Verband schiebt in seiner Mitteilung auch der Bundesregierung eine Teilschuld für die Rechtsbrüche zu. Diese habe die Auffassung vertreten, Gutscheine anstelle von Erstattungen seien pandemiebedingt zulässig gewesen. Wie die eigenen Juristen die Lage eingeschätzt hatten, schreibt der Verband nicht in seiner Mitteilung. Erst nachdem die EU-Kommission widersprach, seien Tickets auf Wunsch auch erstattet worden, wobei es auch zu langen Fristen gekommen sei. Eigentlich ist gesetzlich vorgeschrieben, dass dies innerhalb von sieben bis vierzehn Tagen geschehen muss, so der Rechnungshof.
Der EU-Prüfer betonen, in den ersten Monaten der Krise hätten viele Fluggäste Geld verloren, das ihnen zugestanden hätte. 15 EU-Staaten – darunter die Niederlande, Frankreich und Belgien – hätten sogar dabei geholfen, indem sie EU-rechtswidrige Vorschriften erlassen oder andere Maßnahmen ergriffen hätten, die die Praxis Gutschein statt Erstattung legitimieren sollte.
Teils seien diese Gutscheine nicht mal gegen eine Insolvenz der Unternehmen abgesichert gewesen. Während die Verbraucherinnen und Verbraucher lange um ihr Geld kämpfen mussten, wurde den Airlines in Rekordtempo geholfen: 54 Beschlüsse über staatliche Beihilfen seien innerhalb von durchschnittlich 13 Tagen nach der Anmeldung angenommen worden; 23 davon innerhalb einer Woche, so der Rechnungshof. In der Zeit von März 2020 bis April dieses Jahres seien öffentliche Gelder in Höhe von rund 35 Milliarden in die Hand genommen worden – davon sechs Milliarden für die Lufthansa.
Gleichzeitig seien Rückerstattungen nicht ausdrücklich zur Bedingung für die Beihilfen gemacht worden, obwohl die Kommission deutlich gemacht habe, dass die Staaten dazu die Möglichkeit gehabt hätten. Die Brüsseler Behörde wird in dem Bericht zudem in Schutz genommen, da sie nur wenige Kompetenzen im Bereich der Fluggastrechte habe.
Bereits am Montag hatte die EU-Kommission den Druck auf die Airlines erhöht und einen Forderungskatalog vorgestellt: Darin werden die Fluggesellschaften unter anderem aufgefordert, Rückerstattungen in Form eines Gutscheins nicht als einzige Wahl anzupreisen und Verzögerungen bei der Rückzahlung zu vermeiden. Außerdem erwäge man neue Regeln mit Blick auf kommenden Krisen, sagte Verkehrskommissarin Adina Valean.
Mit dem Wiederanlaufen des Flugverkehrs seien die alten Probleme bereits wieder aufgetreten, berichtet das Flugrecht-Portal Airhelp. Laut einer eigenen Datenanalyse waren im Mai bereits wieder 12,6 Prozent der Passagiere von Verspätungen und Ausfällen betroffen. Das seien zwar deutlich weniger als 2019 mit einem Anteil von 28 Prozent. «Der Schein trügt jedoch, da die Airlines derzeit nur ein Fünftel ihrer eigentlichen Kapazitäten abrufen. Wir rechnen daher damit, dass sich die Flugprobleme weiter häufen, je näher wir dem Normalbetrieb kommen», kommentierte Airhelp-Rechtsexperte Christian Leininger. Für rund die Hälfte der schwerwiegenden Probleme seien die Airlines selbst verantwortlich.
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