23. November 2024

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Fitnessstudio im Zug? Wie die Verkehrswende gelingen soll

Infrastruktur, Geld, Fachkräfte: Über die drei großen Engpässe für mehr Verkehr auf der Schiene sind sich Expertinnen und Experten einig. Doch auch das Bahnfahren selbst müsse attraktiver werden.

Die Ziele der Bundesregierung sind bekannt: doppelt so viele Bahn-Fahrgäste im Jahr 2030; eine Anteilssteigerung der Schiene am Güterverkehr von derzeit rund 19 auf dann 25 Prozent.

Bekannt sind aus Sicht vieler Fachleute auch die Argumente, mit denen Verbraucher vom Umstieg auf den Zug überzeugt werden sollen: Autos nehmen viel Platz weg; sie mindern die Lebens- und Luftqualität in den Städten und sind im Vergleich zum Zug unsicherer.

Alles richtig, findet Corinna Salander, Direktorin des Deutschen Zentrums für Schienenverkehrsforschung, die am Mittwoch auf einer Schienen-Fachkonferenz in Berlin teilnahm. «Aber die Argumente sind ausgelutscht und platt.» Die Begeisterung für das eigene Auto sei in erster Linie deshalb da, weil es Individualität biete. «Wir müssen den Menschen eben die Lösungen anbieten, um den Umstieg attraktiv zu machen.»

Dass dieser Umstieg notwendig ist, zeigten am Mittwoch weitere Fachleute auf der Konferenz, zu der das Umweltministerium sowie der Interessenverband Allianz pro Schiene geladen hatten. Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Der Verkehrssektor ist dabei aus Sicht des Chefs des Umweltbundesamts, Dirk Messner, ein großes Sorgenkind. Immerhin ist er für rund ein Fünftel aller Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich. «Die Tendenz ist in diesem Bereich steigend», sagte Messner am Mittwoch.

Gleichzeitig ist es laut UBA-Daten der einzige Sektor, in dem der CO2-Ausstoß zwischen 1990 und 2019 nahezu stagniert ist. Alle anderen Sektoren konnten im gleichen Zeitraum ihre Emissionen um mindestens rund 20 Prozent senken (Landwirtschaft), manche sogar um mehr als 75 Prozent (Abfall und Abwasser).

Der Ausstoß muss also runter. Dabei spiele etwa die Elektrifizierung des Autoverkehrs eine wichtige Rolle, so Messner. «Am Ende des Tages werden wir damit nur 50 Prozent dessen, was wir erreichen wollen, wenn wir den Nullklimapfad bis 2045 verfolgen, in diesem Bereich erzielen», betonte der Klimaexperte. «Der andere Bereich liegt im Feld des Verkehrssystems selber.» Es brauche unter anderem Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung insbesondere auf die Schiene.

Dass diese Verlagerung nicht schneller vorankommt, liegt aus Sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter anderem an drei Engpässen: der mangelnden Schienen-Infrastruktur, einem seit Jahren bestehenden Investitionsstau und nicht zuletzt fehlendem Personal. «Zu viel Geld ist jahrelang in die Autobahnen geflossen und zu wenig in die Infrastruktur der Schiene», betonte Martin Burkert, Vorsitzender der Allianz pro Schiene und stellvertretender Vorsitzender der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft.

Doch den Fachleuten ging dieser Blick auf die altbekannten Probleme nicht weit genug. Immerhin hat der Bund die Mittel für die Schiene inzwischen deutlich aufgestockt. Und mit dem sogenannten Deutschlandtakt will der Bund mittelfristig dafür sorgen, dass auch in ländlichen Regionen die Anbindung an die großen Fernverkehrswege schneller und einfacher funktioniert.

Am Ende müssten aber auch die Verbraucher überzeugt werden. Neue Trassen beeinflussten die Landschaft, und die Lautstärke von Zügen lasse sich auch nur bis zu einem gewissen Grad reduzieren. Auch die Verfügbarkeit sei ein Thema. So gebe es nach wie vor keine Fernverkehrsanbindung für die Hauptstadt des Saarlandes, Saarbrücken, betonte Landesverkehrsministerin Anke Rehlinger (SPD). Es brauche passgenaue Angebote und eine frühzeitige Einbindung von Anwohnern bei Infrastrukturprojekten.

Auch in den Zügen müsse es mehr attraktive Angebote geben, sagte Verkehrsforscherin Salander. Denkbar seien etwa zu Fitnessstudios umgerüstete Abteile oder Duschen. «Das habe ich weder im Auto noch im Flugzeug.»

Von Matthias Arnold, dpa