Kurz vor dem geplanten fünftägigen Streik im Personenverkehr der Deutschen Bahn hat sich der Konzern mit einem neuen Angebot an die Lokführergewerkschaft GDL gewandt.
Im Güterverkehr hatte der Arbeitskampf der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer da schon begonnen. Seit Mittwochnachmittag müssen sich Logistikkunden der Deutschen Bahn nach Alternativen umsehen. Mit dem jüngsten Vorstoß will der Konzern zumindest den Ausstand im Personenverkehr verhindern. Ob das klappt, blieb zunächst offen. Die Gewerkschaft äußerte sich auf Anfrage am Abend zunächst nicht zu dem Angebot.
«Wir erfüllen zentrale Forderungen der GDL», teilte Bahn-Personalvorstand Martin Seiler mit. «Es gibt jetzt erst recht keinen Grund mehr für einen fast einwöchigen Streik.» Die GDL müsse ihre «Blockadehaltung» aufgeben und an den Verhandlungstisch kommen.
Bahn kommt entgegen
Das neue Angebot der Bahn enthält eine Corona-Prämie von bis zu 600 Euro und sieht eine Laufzeit des Tarifvertrags von 36 Monaten vor, wie das Unternehmen mitteilte. Bislang hatte die Bahn eine Laufzeit von 40 Monaten angeboten und die Höhe der Prämie nicht beziffert. Das Angebot sei der GDL schriftlich unterbreitet worden, hieß es. Konkret bietet die Bahn an, eine Corona-Prämie in gleicher Höhe wie im Öffentlichen Dienst zu zahlen: Je nach Entgeltgruppe würden damit bei der GDL 400 oder 600 Euro ausgeschüttet.
Tatsächlich gehört eine Corona-Prämie in Höhe von 600 Euro zu den zentralen Forderungen der GDL. Bei der Laufzeit will sie allerdings nicht über 28 Monate hinausgehen. Außerdem will sie, dass die erste Tarifstufe von 1,7 Prozent noch im laufenden Jahr gezahlt wird. Die Bahn hatte für dieses Jahr bislang eine Nullrunde angestrebt. Aus dem neuen Angebot geht zunächst nicht hervor, ob sich daran etwas geändert hat.
Die Deutsche Bahn steht vor dem Problem, dass sie bei ihren Angeboten auch den Abschluss mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) im Blick haben muss, die mit der kleineren GDL im Konzern um Einfluss konkurriert. Mit der EVG hatte sich die Bahn im vergangenen Jahr auf eine Einkommenserhöhung von 1,5 Prozent ab Anfang 2022 sowie eine Beschäftigungsgarantie geeinigt. Sollte die GDL nun einen besseren Abschluss erzielen, würde dieser mehr oder weniger automatisch auch für die EVG übernommen. Das gilt auch für die nun vorgeschlagene Corona-Prämie. Für den finanziell schwer angeschlagenen Bahn-Konzern ein teures Unterfangen.
Kommt der Streik oder nicht?
Unterdessen hielt die Ungewissheit der Bahnkunden mit Blick auf den Streik im Personenverkehr am Abend an. Sollte die GDL an ihren Plänen festhalten, wäre es innerhalb von wenigen Wochen die dritte und bislang längste Streikrunde im aktuellen Tarifstreit. Insgesamt mehr als fünf Tage sollte der Streik diesmal dauern. Erst ab Dienstagmorgen könnte der Bahnverkehr wieder weitgehend normal laufen.
Doch auch für Logistik-Unternehmen und die Wirtschaft hat der Arbeitskampf Auswirkungen. «Auch bei Unternehmen, die vorgesorgt haben, sind irgendwann die Lager leer», sagte ein Logistikexperte des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik. «Es kann dadurch schon zu ersten Ausfällen kommen.» Das gelte auch für Unternehmen im benachbarten Ausland, denn der Streik durchtrenne europäische Lieferketten.
Zwar hält die Deutsche Bahn nur noch rund 43 Prozent am Güterverkehr auf der Schiene, das übrige Geschäft übernehmen Konkurrenten. Doch die Bahn dominiert den Einzelwagenverkehr, auf den etwa die Chemie-Industrie in vielen Fällen angewiesen ist. Dabei werden Einzelwaggons in großen Rangierbahnhöfen zu langen Zügen zusammengestellt.
Im Hintergrund des Tarifkonflikts schwelen nicht nur finanzielle Fragen: Es geht auch um den Machtkampf zwischen EVG und GDL, der durch das sogenannte Tarifeinheitsgesetz komplizierter wird. Das Gesetz sieht vor, dass nur noch die Tarifverträge der größeren Gewerkschaft in einem Betrieb angewendet werden. Aus Sicht der Bahn ist das in den meisten der rund 300 Tochter-Betriebe die EVG.
Die GDL sieht das anders und versucht derzeit, ihren Einflussbereich auszuweiten. «Man muss deutlich machen, dass man besser ist als die andere Gewerkschaft, dass man die echte Gewerkschaft ist und dass man auf diesem Wege in der Lage ist, die zukünftige Mehrheitsposition einzunehmen», erklärt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel das aktuelle Vorgehen der GDL. Dies funktioniere vor allem über Konflikte und entsprechende Forderungen.
Dass eine der beiden Seiten in naher Zukunft von ihrer jeweiligen Position abrücken könnte, ist derzeit nicht absehbar. Eine Schlichtung, wie sie bereits im vergangenen Herbst unter der Leitung des früheren Brandenburger Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) versucht wurde, lehnt die GDL derzeit ab. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte die Hoffnung, dass in diesem Konflikt «zügig eine für alle Seiten tragfähige Lösung» gefunden werde.
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