Im Wettstreit mit Tesla zieht Volkswagen aller Voraussicht nach ein eigenes Werk für sein grundlegend neues Elektromodell Trinity hoch.
Die Fabrik soll in der Nähe des Stammsitzes in Wolfsburg entstehen, wie Europas größter Autokonzern am Dienstagabend überraschend ankündigte. Der Aufsichtsrat muss der Entscheidung allerdings noch abschließend zustimmen.
Das Vorhaben gilt als einer der entscheidenden Punkte in der Investitionsstrategie für die kommenden fünf Jahre. Den Angaben zufolge soll das Trinity-Projekt in einer separaten Produktionsstätte untergebracht werden – vorgesehen ist eine Art «zweites Werk Wolfsburg». Dessen Aufbau könnte nach Schätzungen aus Konzernkreisen mindestens einige hundert Millionen Euro kosten.
«Entstehen soll die neue Fabrik auf der grünen Wiese außerhalb des Werkzauns», erklärte das Unternehmen. «In Frage kommen dafür verschiedene Standorte im nahen Umland von Wolfsburg.» Der eigentlich schon für diesen Freitag (12. November) angepeilte Abschluss der VW-Planungsrunde war jüngst auf den 9. Dezember verschoben worden – möglicherweise fällt bis dahin eine endgültige Entscheidung.
Komplett neues Fahrzeugsystem
Trinity läuft im Jahr 2026 voll an. Es handelt sich um ein komplett neu konzipiertes Fahrzeugsystem, in dem dann die modernsten E-Antriebe sowie weitgehend selbst programmierte Software, eigene Vernetzung und Technologien des autonomen Fahrens von VW zum Einsatz kommen sollen. Dazu verwendet die Hauptmarke eine weiterentwickelte Plattform namens SSP, auf die auch Töchter zugreifen können.
Auf dieser technischen Basis sollen insgesamt mehr als 40 Millionen Wagen entstehen. Das größte deutsche Unternehmen will damit vor allem den US-Rivalen Tesla angreifen, der schon jetzt kurz vor dem Start seiner neuen «Gigafabrik» in Grünheide bei Berlin steht.
Bereits angeschoben ist im VW-Konzern ein erster «Tesla-Fighter» für die Oberklasse. Er soll räumlich auf dem Gelände der leichten Nutzfahrzeuge in Hannover angesiedelt werden und nach bisherigen Planungen Ingenieure von Audi, Porsche und Bentley zusammenbringen.
Wettbewerbsdruck steigt
Kernmarkenchef Ralf Brandstätter erklärte: «Der Wettbewerbsdruck steigt – nicht zuletzt vor der eigenen Haustür. Wir müssen Wolfsburg jetzt fit machen für die Zukunft.» Eine Fertigungszeit von zehn Stunden je Auto sei an den geplanten Trinity-Linien wohl machbar. «Auch das Stammwerk am Mittellandkanal soll anschließend nach diesem Vorbild tiefgreifend modernisiert werden», teilte VW weiter mit.
Der Betriebsrat hatte zuletzt kritisiert, dass Konzernchef Herbert Diess keine hinreichende Strategie für eine stärkere Auslastung Wolfsburgs habe – zumal in der anhaltenden Chip-Lieferkrise, die Zehntausende Menschen teils über Monate in Kurzarbeit hält. Zudem forderte die Belegschaftsvertretung mindestens ein weiteres E-Modell für die Zentrale ab etwa 2024. Hieran will sie weiter festhalten.
Zurzeit entstehen in Wolfsburg Modelle wie der Golf und der Tiguan. Die Produktionslinien für Verbrenner im Stammwerk sollen im Laufe der Zeit nun von vier auf zwei «verdichtet» werden. Ein eigenes Werk für Trinity in direkter Nachbarschaft – auf der «grünen Wiese» wie bei Tesla – könnte gewährleisten, dass das Hauptwerk selbst Montagelinien für andere mögliche Modelle früher und leichter frei bekommt.
Ohne Störung für das Großprojekt
So ließe sich die alte Fertigung umrüsten, ohne die Vorbereitungen für das neue Großprojekt zu stören. «Die Trinity-Fabrik steht für hohe Auslastung und sichere Beschäftigung in Wolfsburg», betonte die VW-Mitarbeitervertretung in einer internen Publikation. «Mit der Erfahrung aus der Trinity-Fertigung soll Zug um Zug auch das Stammwerk in die Produktion der Zukunft starten und einen grundlegenden Umbau für neue Produkte erfahren.»
Ziel ist laut Betriebsratschefin Daniela Cavallo die langfristige Sicherung einer «Jahresproduktion im hohen sechsstelligen Bereich». 2021 droht der Stammsitz nicht einmal die Hälfte der vom Management einst in Aussicht gestellten knapp einer Million Autos zu schaffen. Es könnte das produktionsschwächste Jahr seit Ende der 1950er werden.
Cavallo hatte Diess in den vergangenen Wochen scharf angegriffen, nachdem dieser angeblich erst interne E-Mails für weitere Sparvorschläge im Management verbreitet und dann eine Zahl von möglicherweise bis zu 30.000 überflüssigen Jobs ins Spiel gebracht hatte. Wieder war daraufhin eine Debatte um Arbeitsplatzängste ausgebrochen.
Kein Stellenabbau geplant
In einer internen Fragerunde mit Beschäftigten betonte Diess am Dienstag, keinen Stellenabbau in Form eines zusätzlichen Sparprogramms in den kommenden Jahren anzupeilen: «Es sollte keiner Angst haben. Wir haben eine Arbeitsplatzsicherung ausgesprochen bis 2029. Es gibt keinen Plan, 30.000 Mitarbeiter abzubauen.»
Worum es ihm gehe, seien Überlegungen, wie man mehr Effizienz erreiche: «Wie muss Wolfsburg aussehen im Jahr 2030, 2035, damit es zukunftsfähig ist?» Sicherlich würden dabei auch alte Jobs wegfallen – «aus dem Wettbewerb heraus. Darauf muss man sich vorbereiten.»
Volkswagen brauche insbesondere am Hauptsitz «einen Ruck, um diese neue Welt zu erkennen», sagte Diess. Bei entsprechender Vorbereitung könne Wolfsburg Tesla standhalten. «Aber wir müssen uns neu erfinden, wir brauchen einen Aufbruch.» Nach Angaben des Betriebsrats sollen die Beschäftigten im neuen Trinity-Werk in den VW-Haustarif fallen.
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