Die Einführung von teilweise extrem hohen Tarifen für neue Strom- und Gaskunden sorgt für Streit zwischen Verbraucherschützern und Energiewirtschaft.
Am Donnerstag teilte die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen mit, dass sie drei Grundversorger wegen der Aufspaltung der Energietarife für Neu- und Bestandskunden abgemahnt habe. Die Verbraucherschützer forderten die Unternehmen aus Köln, Gütersloh und Wuppertal auf, die neuen Tarife zurückzunehmen und drohten mit Klagen.
Viele Grundversorger, also die Energieanbieter mit den meisten Kunden in einer Region, haben in den vergangenen Wochen neue Tarife für Neukunden eingeführt. Anlass war die Liefereinstellung durch Energiediscounter, wodurch viele ehemalige Kunden in die Ersatzversorgung durch den örtlichen Grundversorger fielen. Diese sind verpflichtet, die Kunden bei Wegfall des bisherigen Lieferanten zunächst weiter mit Strom und Gas zu versorgen. Die zusätzlichen Mengen an Energie müssen die Versorger nach Angaben des Branchenverbandes BDEW kurzfristig extrem teuer einkaufen.
Um die Bestandskunden zu schützen, wurden häufig neue Tarife für die neuen Kunden geschaffen. Nach Angaben des Vergleichsportals Check24 vom Montag haben etwa bei Gas mehr als 300 Grundversorger neue Tarife ausschließlich für Neukunden eingeführt. Deren Preise lagen um durchschnittlich 184,7 Prozent über den bisherigen Tarifen, was fast eine Verdreifachung bedeutet.
Ein Großteil der Grundversorger verlange von den neuen Kundinnen und Kunden Preise, die um ein Vielfaches höher lägen als die des bisherigen Kundenstamms, bemängelte die Verbraucherzentrale. Dies sei eine Ungleichbehandlung, die gegen geltende Vorschriften des Energierechts verstoße. Man werde mit allen juristischen Mitteln gegen diese Benachteiligung vorgehen, «die nur auf Grundlage eines willkürlich festgelegten Stichtags erfolgt».
Die Wuppertaler Stadtwerke wiesen die Vorwürfe zurück. Eine Aufnahme in den allgemeinen Grundtarif hätte für viele Bestandskunden eine Preiserhöhung bedeutet, was man ihnen nicht habe zumuten wollen, hieß es in einer Mitteilung. Auch die Landeskartellbehörden Niedersachsen und NRW hätten sich mit dem Thema Zweittarif beschäftigt und dies als juristisch zulässig bewertet. Das Kölner Unternehmen Rheinenergie kritisierte die Verbraucherzentrale: Sie ignoriere die berechtigten Interessen der Bestandskunden, leiste dafür aber indirekte Schützenhilfe für das Fehlverhalten einiger Vertriebsunternehmen.
Kartellamtspräsident Andreas Mundt sagte der dpa, dass er die Praxis der Tarifspreizung kritisch sehe, «auch wenn ein gewisser Preisunterschied angesichts der derzeitigen Verwerfungen am Markt und der sehr hohen Beschaffungskosten gerechtfertigt sein könnte». Es gehe dabei vor allem um das richtige Maß. «Es ist kartellrechtlich durchaus relevant, wenn jemand, der auf die Grundversorgung angewiesen ist – und sei dies auch nur für einen Übergangszeitraum – missbräuchlich überhöhte Mondpreise zahlen muss.» Die Versorger sollten sich bewusst sein, «dass sie die Höhe der jetzt aufgerufenen Tarife für Neukunden im Einzelnen auch rechtfertigen können müssen».
Die Versorger müssten unterm Strich ihre momentan stark erhöhten Beschaffungskosten decken können. Dies dürfe aber nicht zu missbräuchlich überhöhten Preisen führen. «Vielleicht ist eine angemessene – ich betone angemessene – Tarifspreizung für eine Übergangszeit sogar das mildere Mittel.» Eine Preiserhöhung in der Grundversorgung für die Bestandskunden wäre laut Mundt auch problematisch. «Damit würden auch Kunden betroffen, die zum Beispiel aus Bonitätsgründen ihren Versorger gar nicht wechseln können.»
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), der die Stadtwerke und kommunalen Versorger vertritt, begrüßte die Äußerungen Mundts. «Der Präsident des Bundeskartellamtes hat bestätigt, dass die derzeitige Situation die Einführung unterschiedlicher Tarife für Bestands- und Neukunden rechtfertigt», sagte VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Zu Recht weise Mundt darauf hin, dass diese Preisspreizung für die Grundversorger derzeit ein milderes Mittel als andere Maßnahmen darstelle. «Es ist selbstverständlich, dass die geforderten Preise dann auch inhaltlich gerechtfertigt werden müssen.»
Auch Bundesverbraucherministerin Steffi Lemke (Grüne) kritisierte die hohen Neukundentarife. Wenn für die Kilowattstunde Strom jetzt 90 oder sogar 97 Cent verlangt werden, dann lasse sich das nicht mehr mit gestiegenen Beschaffungskosten erklären, sagte sie dem «Handelsblatt». «Diese Aufschläge lassen sich meiner Meinung nach schwer mit Marktpreisen rechtfertigen», sagte Lemke.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft nahm die Grundversorger in Schutz. Nach der Liefereinstellung durch Energiediscounter hätten die Versorger für die betroffenen Kunden von heute auf morgen zusätzliche Strom- oder Gasmengen im Energiehandel einkaufen müssen. «Und das in der Phase, in der die Energiepreise an den Börsen in nie da gewesene Höhen geschossen sind», erklärte die Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, Kerstin Andreae.
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