Die Löhne in Deutschland können nicht mehr mit der Teuerung Schritt halten. Das zweite Jahr in Folge mussten die Arbeitnehmer 2021 Einbußen bei ihren Reallöhnen hinnehmen, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch berichtete.
Das bedeutet, dass die Lohnsteigerungen nicht mehr die Steigerungen bei den Verbraucherpreisen für Waren und Dienstleistungen ausglichen. Während 2020 die Corona-Krise für Kurzarbeit, Jobverluste und sinkende Bruttolöhne sorgte, schlug im vergangenen Jahr die von Energiepreisen getriebene Inflation zu. Mehr Spielraum im eigenen Portemonnaie ist für die meisten Beschäftigten auch in diesem Jahr nicht in Sicht.
Nach vorläufigen Zahlen der Behörde wuchsen im vergangenen Jahr die Bruttomonatsverdienste einschließlich der Sonderzahlungen um knapp 3,1 Prozent, wurden aber mehr als vollständig von den um gut 3,1 Prozent gestiegenen Verbraucherpreisen aufgezehrt. Der Rückgang der Reallöhne betrug damit 0,1 Prozent.
Dabei schien es in der deutschen Wirtschaft seit 2010 bei den Reallöhnen nur noch die Richtung nach oben zu geben. Außer einer Minidelle 2013 (-0,1 Prozent) wurden ausschließlich Steigerungen zwischen 0,5 und 2,1 Prozent im Jahr registriert. Zumindest nach den Modellen des Statistischen Bundesamtes hatten die Lohnempfänger Jahr für Jahr eine höhere Kaufkraft, bis die Corona-Krise dem ein vorläufiges Ende setzte. 2020 gingen wegen der in der Pandemie gekürzten Arbeitszeiten die Bruttolöhne um 0,7 Prozent zurück. Mit einer Inflation von 0,5 Prozent ergab sich so nach vielen Jahren des Aufschwungs ein erster Reallohnrückgang von 1,1 Prozent.
Für die Berechnungen des vergangenen Jahres wirkte zudem ein Sondereffekt, der die Lohnsteigerungen überzeichnet. Denn viele Beschäftigte kamen aus der Kurzarbeit zurück, arbeiteten wieder länger und erhielten auch mehr Gehalt, denn das Kurzarbeitergeld wurde zuvor nicht mitgezählt. Besonders groß war dieser Nachholeffekt in Branchen, die von den Corona-Einschnitten hart getroffen wurden, etwa Luftverkehr und Gastronomie. Detaillierte Auswertungen zu einzelnen Wirtschaftsbereichen will das Bundesamt im März vorlegen.
In diesem Jahr drohen weitere Einbußen, wenn die Inflation noch stärker ausfällt als 2021, worauf im Moment vieles hindeutet. Im Januar betrug die Jahresteuerungsrate 4,9 Prozent. Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft von Verbrauchern, weil sie sich für einen Euro weniger kaufen können als zuvor. Das kann den Konsum als wichtige Konjunkturstütze dämpfen. Folgen hoher Energiepreise befürchten auch die Unternehmen, die in der Regel mit Preiserhöhungen reagieren wollen. Das Ifo-Institut setzte seine Jahresprognose gerade auf 4 Prozent hoch.
Im anstehenden Tarifjahr, in dem für rund zehn Millionen Beschäftigte verhandelt wird, wollen die Gewerkschaften für ihre Mitglieder die Realeinkommen mindestens sichern. Wie anspruchsvoll dieses Ziel ist, zeigt ein Blick auf die Entwicklung der Tariflöhne: In diesem Jahrtausend lag die jahresbezogene Steigerung nur ein einziges Mal im Jahr 2014 oberhalb der 3-Prozent-Marke. 2021 lagen die Abschlüsse bei einer Jahreswirkung von 1,7 Prozent, sagt Thorsten Schulten vom WSI-Tarifarchiv der gewerkschaftlichen Böckler-Stiftung. «Das ist weit entfernt von der zu erwartenden Preissteigerung im laufenden Jahr.»
Bislang haben sich die tariflichen Schwergewichte IG BCE und IG Metall bei ihren Forderungen noch Zurückhaltung auferlegt, weil auch dort die Auffassung herrscht, dass die Inflation durch Sondereffekte bei der Energie getrieben ist und die Kerninflation deutlich niedriger liegt. Zudem hat die IG Metall bei der Begründung ihrer Forderung stets mit der EZB-Zielinflation von 2 Prozent argumentiert. Gleichwohl haben beide Industriegewerkschaften erklärt, Reallohnverluste nicht hinnehmen zu wollen.
Einen gewissen Effekt erwartet Experte Schulten zudem von der Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro je Stunde. Der komme zwar erst im Oktober, wirke aber bereits früher auf die gesamte Tarifstruktur. «Branchen mit niedrigen Löhnen beginnen bereits, ihre untersten Tarife anzuheben, um dauerhaft über dem gesetzlichen Mindestlohn zu bleiben.» Bestes Beispiel sei das Gastgewerbe, wo es in den vergangenen Monaten auch regionale Abschlüsse mit zweistelligen Tariferhöhungen gegeben habe. Hier spielt auch der Fachkräftemangel eine Rolle.
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