Nach den Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha wird auch innerhalb der Ampelkoalition wieder intensiv über einen sofortigen Stopp von Energielieferungen aus Russland diskutiert.
Die Bundesregierung bleibt bislang bei ihrer Haltung, diesen Schritt aus Sorge vor den Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft nicht zu gehen. Entsprechend äußerten sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil.
Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag, forderte erneut ein Embargo. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) will zumindest mit den europäischen Partnern darüber sprechen. Nach dem Abzug russischer Truppen aus Butscha waren in dem Vorort von Kiew Dutzende tote Zivilisten entdeckt worden.
Lambrecht forderte eine schnelle Antwort der EU-Staaten. Diese müssten sich schnellstmöglich über weitere Sanktionen gegen Russland austauschen, sagte sie am Sonntag im «Bericht aus Berlin» der ARD. Sie gehe davon aus, dass auch über Energielieferungen gesprochen werde.
Nach Schätzung der Brüsseler Denkfabrik Bruegel geben die EU-Staaten täglich rund 380 Millionen Euro für russisches Gas und etwa 360 Millionen Euro für Öl aus. Kritiker sehen darin eine indirekte Mitfinanzierung des Krieges in der Ukraine.
Habeck: Jeder Tag ein Schritt zum Embargo
Habeck sagte auf die die Frage, ob ein sofortiges Embargo ausgeschlossen sei, egal was der russische Präsident Wladimir Putin tue: «Wir arbeiten ja an der Unabhängigkeit von russischem Öl und von Kohle und Gas.» Deutschland habe die eigene Öl- und Gasförderung weitgehend eingestellt, sich gegen andere Lieferanten als Russland und gegen Energieterminals entschieden. «Das bauen wir jetzt alles zurück und drehen es um», sagte Habeck. Insofern gebe es jeden Tag Schritte zu einem Embargo.
Hofreiter sagte im Deutschlandfunk mit Blick auf Habecks Kurs: «Es gibt einfach eine unterschiedliche Einschätzung. Ich bin der Meinung, gestützt auf Unmengen Experten und nicht nur Wirtschaftswissenschaftlern, dass es möglich ist.» Ein Embargo wäre allerdings extrem schwierig. «Und es hat Konsequenzen, denn wir brauchen dann ein Rettungspaket für die Industrie. Wir brauchen wieder umfangreiches Kurzarbeitergeld.»
Klingbeil sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung «Anne Will», er halte trotz der schrecklichen Bilder von Butscha ein sofortiges Gas-Embargo aus vielen Gründen für einen falschen Weg. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder teilte diese Position und wies darauf hin, dass sich Russland bereits andere Abnehmer suche, etwa Indien.
«Wir drehen gerade jeden Tag den Gashahn ein Stück weiter zu», sagte Klingbeil. Bei einem Stopp von heute auf morgen «müssen wir bei aller Brutalität dieser Bilder und bei aller Emotionalität, die auch ich habe, da müssen wir über die Konsequenzen reden, die das für uns in Deutschland hätte». Es gehe auch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Bankenpräsident Sewing warnt vor Rezession
Bankenpräsident Christian Sewing rechnet im Falle eines Einfuhrstopps für Energie aus Russland mit einem Einbruch der Wirtschaft. «Emotional kann man jede Forderung nach einem Embargo verstehen», sagte er in einer Videoschalte. «Wenn es dazu kommen würde, ist es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft und wahrscheinlich auch die europäische Wirtschaft in eine Rezession verfällt mit langfristigen Folgen.»
Habeck machte deutlich, Deutschland sei in den vergangenen vier Wochen überraschend gut vorangekommen, die Abhängigkeit von russischer Energie zu verringern. Im nächsten Schritt gehe es gerade in Bezug auf Öl darum, «die Willkür und die Abhängigkeit von russischer Beeinflussung der Infrastruktur zu lösen und zu überwinden». So solle die Raffinerie in Schwedt in Brandenburg fast vollständig vom russischen Staatskonzern Rosneft übernommen werden. Die Details würden gerade geprüft.
Anteil russischer Gaslieferungen gesunken
Bis zum Sommer werden aus Sicht des Wirtschaftsministeriums die russischen Ölimporte nach Deutschland voraussichtlich halbiert sein. Mit dem Ende des Sommers und zum Herbst hin könne Deutschland komplett auf russische Kohle verzichten. Beim Gas ist die Lage komplizierter. Der Anteil der russischen Gaslieferungen sank aber laut Ministerium bereits von 55 auf 40 Prozent.
Bei der Versorgung mit nicht-russischem Gas arbeitet die Bundesregierung daran, 2022 und 2023 mehrere schwimmende Terminals für Flüssiggas (LNG) in Deutschland in Betrieb zu nehmen. Die Konzerne RWE und Uniper hätten sich im Auftrag der Bundesregierung eine Option auf drei schwimmende LNG-Terminals gesichert, hieß es. Zudem soll der Bau von Terminals etwa in Brunsbüttel vorangetrieben werden.
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