Höchstrichterlicher Schlussstrich unter einen langen Streit: Architekten und Ingenieure können für vor 2021 abgeschlossene Verträge Nachforderungen verlangen, wenn die vereinbarten Pauschalhonorare mit Kunden unter den damals geltenden Mindestsätzen lagen.
Deutsche Gerichte können die damalige Honorarordnung für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI) bei Streitigkeiten zwischen Planern und Privatleuten weiter anwenden, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag.
Die Frage war unter Gerichten heftig umstritten. Sie hatten zahlreiche Verfahren ruhend gestellt. Auf sie dürften nun viele «Aufstockungsklagen» von Planern zukommen.
Klage brachte Streit ins Rollen
Vor dem BGH war der Inhaber eines Ingenieurbüros aus Nordrhein-Westfalen erfolgreich. Er hatte eine offene Forderung von mehr als 100.000 Euro geltend gemacht und diese mit der HOAI begründet. Ursprünglich vereinbart war für ein Bauvorhaben ein Pauschalhonorar von rund 55.000 Euro. Aus Sicht des Oberlandesgerichts Hamm war die Nachforderung gerechtfertigt, weil der Pauschalpreis im Ingenieurvertrag gegen den Mindestpreischarakter der HOAI als zwingendes Preisrecht verstieß. Die dagegen gerichtete Revision wies der BGH zurück.
Grundlage für das BGH-Urteil ist eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Die Karlsruher Richter hatten die Sache dem obersten Gericht der EU vorgelegt. Das entschied am 18. Januar dieses Jahres überraschend: Deutsche Gerichte können die Honorarordnung bei Streitigkeiten zwischen Privatleuten – also zum Beispiel Architekt und Häuslebauer – weiter anwenden. EU-Vorgaben hätten keine unmittelbare Wirkung auf Privatpersonen, sondern seien eine Anweisung an einen Staat.
Frühere Kostenregelung europarechtswidrig
Das Urteil gilt nur für Altverträge. Was eine solide Hausplanung kosten darf, war viele Jahrzehnte festgeschrieben. Dann sah der EuGH die HOAI 2019 als europarechtswidrig an: Sie hindere Anbieter anderer EU-Staaten, sich in Deutschland niederzulassen, da sie nicht über den Preis konkurrieren könnten. Seit 2021 gibt es eine neue HOAI, die statt vorgeschriebenen Mindest- und Höchstsätzen nur noch Empfehlungen gibt.
Für die Bundesingenieurkammer droht durch den Wegfall der Verbindlichkeit – wie in anderen Ländern – ein Preiskampf bis zum Dumping. Das könne mit Qualitätsverlust einhergehen, befürchtet Hauptgeschäftsführer Martin Falenski. Das sieht man bei der Bundesarchitektenkammer ähnlich. Deren Justiziar Volker Schnepel wies darauf hin: Honorare innerhalb der HOAI-Honorarspannen seien diejenigen, die der Gesetzgeber in jedem Fall als angemessen ansehe. «Damit soll es einen Ansatzpunkt geben, dass kein ruinöser Preiswettbewerb stattfindet.»
Offen sind die Auswirkungen des Urteils auf Häuslebauer mit Altverträgen – etwa wenn sie als «Honorarrechtslaien» eine Unterschreitung der alten zwingenden Mindestsätze nicht erkennen konnten. Der Verband Privater Bauherren verweist auch darauf, dass Kunden, die zu Nachzahlungen verurteilt werden, nach der Rechtsprechung des EuGH ein europarechtlicher Schadensersatzanspruch zustehe, der sich gegen den Bund als Verordnungsgeber der HOAI richtet. Ob ein solches Vorgehen Aussicht auf Erfolg habe, müsse sich jedoch erst zeigen. Der Anwalt des vor dem BGH erfolgreichen Ingenieurs verwies darauf, das manche Schadensersatzansprüche schon verjährt sein könnten.
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