Ein E-Zigaretten-Branchenbündnis zieht vor das Bundesverfassungsgericht, um in den kommenden Jahren Steuererhöhungen zu verhindern.
«E-Zigaretten haben ein viel geringeres Schadenspotenzial als Tabakzigaretten und werden nun trotzdem steuerlich gleichgesetzt – das ist unverhältnismäßig und falsch», sagte der Vorsitzende des «Bündnisses für Tabakfreien Genuss», Dustin Dahlmann, der dpa. Eine entsprechende Verfassungsbeschwerde habe man beim BVG eingereicht. Nun heißt es abwarten: Womöglich erst 2023 werde das Gericht entscheiden, ob die Beschwerde angenommen wird und es zur Verhandlung kommt, sagte er.
Stein des Anstoßes ist die 2021 beschlossene Tabaksteuerreform. Das Gesetz, das das E-Zigaretten-Bündnis für verfassungswidrig hält, sieht für gewöhnliche Glimmstängel eher moderate Steuererhöhungen vor. Für elektronische Zigaretten geht es hingegen steil nach oben: Bisher fiel beim Kauf der Flüssigkeiten (Liquids), die verdampft und inhaliert werden, nur Mehrwertsteuer an. Nun kommt noch die Tabaksteuer hinzu.
Tabaksteuer soll in Schritten steigen
In mehreren Stufen steigt die Tabaksteuer an: Ab dem 1. Juli sind es 16 Cent pro Milliliter Liquid, bis 2026 erhöht sich die Steuer in mehreren Schritten auf 32 Cent. Nach Berechnung des Branchenbündnisses verteuert sich dadurch ein 10-Milliliter-Liquid von den derzeit üblichen 4,95 Euro auf 8,76 Euro – dies ist inklusive der Mehrwertsteuer und unter der Annahme, dass Hersteller und Händler auf gleichbleibende Netto-Einkünfte setzen. Das wäre eine steuerbedingte Preissteigerung von 77 Prozent.
So ein kräftiger Preisaufschlag könnte Kettenraucher vor dem Umstieg auf das Dampfen abhalten, warnt Dahlmann. «Die gesundheitspolitische Lenkungswirkung der Steuer ginge in die falsche Richtung: Die Raucher blieben beim extrem schädlichen Tabak, anstatt auf die wesentlich schadstoffärmeren Liquids zu wechseln.»
Zweiter Kritikpunkt des Branchenbündnisses ist die Tatsache, dass nicht nur nikotinhaltige Liquids besteuert werden, sondern auch nikotinfreie Versionen. Deren Bestandteile – etwa Lebensmittelaromen und Flüssigkeiten wie Propylenglykol – könne man auch in Apotheken und anderen Läden kaufen, ohne dass hierbei Tabaksteuer anfalle. «Die E-Zigaretten-Nutzer könnten versucht sein, sich diese Bestandteile billig zu kaufen und dann selbst zu mischen.» Das Mischen solcher Haushaltsprodukte, die eigentlich nicht für die E-Zigarette gedacht sind, sei zwar illegal, aber kaum zu kontrollieren, sagt Dahlmann. «Die Steuer könnte zu einer Zunahme von illegalem Mischen führen.»
Schadstoffgehalt ist niedriger
Mediziner blicken unterschiedlich auf das Thema. Unstrittig ist, dass der Schadstoffgehalt deutlich niedriger ist als in der Tabakzigarette. Laut einem Bericht der englischen Gesundheitsbehörde PHE ist E-Zigarettendampf mindestens 95 Prozent weniger schädlich als Tabakrauch. Allerdings gibt es noch keine Langzeitstudien über mögliche Schäden – wie genau sich der vergleichsweise niedrige Schadstoffgehalt auf die Gesundheit auswirkt, ist also noch unklar.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum DKFZ betont, dass E-Zigaretten keineswegs harmlos seien. So enthielten ihre Aerosole verschiedene krebserregende Substanzen, heißt es in einer Ausarbeitung des DKFZ. Es sei «biologisch plausibel, dass E-Zigarettenkonsum langfristig das Krebsrisiko erhöhen» könnte. «Es ist jedoch unklar, ob die im Aerosol vorliegenden Mengen an Kanzerogenen ausreichen, um tatsächlich Krebs auszulösen.» Andere Mediziner betonen bei E-Zigaretten hingegen die Vorteile, weil dadurch Kettenraucher umsteigen könnten auf ein weniger schädliches Produkt.
Beim Thema Rauchen gab es zuletzt eine bedenkliche Entwicklung: Laut einer regelmäßig durchgeführten Studie der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität stieg der Anteil der Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland, die zur Tabakzigarette greifen, in Pandemiezeiten deutlich auf 32,9 Prozent. Vor dem ersten Lockdown 2020 lag dieser Anteil noch bei 26,5 Prozent. Diese Entwicklung könnte durch die Steuererhöhungen beschleunigt werden, warnt Dahlmann – «weil Verbrauchern das Dampfen zu teuer wird und sie doch wieder zum Tabak-Glimmstängel greifen».
Verfahren: Italien als Vorbild
Die Verfassungsbeschwerde hatte der Branchenvertreter schon vor einem Jahr angekündigt, nach gründlicher juristischer Vorarbeit wurde das Schreiben nun endlich eingereicht. Auf die Frage, wie er die Chancen auf einen Erfolg vor Gericht einschätzt, verweist Dahlmann auf Italien, wo das dortige Verfassungsgericht eine starke Steuererhöhung auf E-Zigaretten vor einigen Jahren für verfassungswidrig erklärte. «Wir sind guter Dinge, dass unsere Argumente auch von Deutschlands Verfassungsgericht nachvollzogen werden können.»
Klar ist, dass das langwierige Gerichtsprozedere die für den 1. Juli feststehende Steuererhöhung nicht mehr stoppen wird. Dahlmann hofft aber darauf, dass das Gericht den Gesetzgeber zur Gesetzesänderung auffordert und die weiteren Steuererhöhungsschritte schwächer ausfallen als bisher vorgesehen oder sogar ganz wegfallen.
Im Bundestag, wo das Gesetz im vergangenen Jahr angenommen wurde, löst die Haltung des Branchenbündnisses verschiedene Reaktionen aus. Der Grüne Sascha Müller lässt Verständnis erkennen und sagt, dass die Besteuerung der Liquids «etwas zu hoch angesetzt» sei. In dem Gesetz sollte sich stärker widerspiegeln, dass «die E-Zigaretten erwiesenermaßen weniger schädlich sind als die klassischen Tabak-Zigaretten». Ähnlich wie der Branchenvertreter Dahlmann befürchtet der Abgeordnete, dass sich künftig mehr Konsumenten ihre Liquids selber mischen. «Zu gegebener Zeit sollten wir prüfen, ob gesetzgeberischer Nachbesserungsbedarf besteht», sagt Müller.
SPD-Abgeordneter: Preis soll junge Leute abschrecken
Der SPD-Abgeordnete Michael Schrodi hält hingegen wenig von den Argumenten der E-Zigaretten-Lobby. Ziel des Gesetzes sei es, «mit klaren Preissignalen» die Menschen zu einem Leben ohne Rauchen oder Dampfen zu motivieren. Auch die Prävention gegenüber Jugendlichen sei wichtig – dass also ein hoher Preis junge Leute abschreckt. Mit Blick auf die Verfassungsbeschwerde sagt der Sozialdemokrat: «Ich bin sehr zuversichtlich, dass das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis kommen wird, dass der Gesetzgeber hier eine sinnvolle und vertretbare Abwägung vorgenommen hat.»
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