23. November 2024

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Kanzler Scholz startet Aktion gegen Preissteigerungen

Die Inflation hat Gas, Benzin, Lebensmittel und andere Waren erfasst. Der Kanzler spricht von «sozialem Sprengstoff» und will gegensteuern. Konfrontiert wird er mit zahlreichen Forderungen.

Im Bundeskanzleramt in Berlin hat die sogenannte konzertierte Aktion gegen die Inflation in Deutschland begonnen. Bei Kanzler Olaf Scholz (SPD) kamen Spitzenvertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften zusammen.

Auch Ökonomen und Bundesbank waren eingeladen. Unter anderem wollten auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) teilnehmen.

Scholz hatte das Gesprächsformat initiiert. Das Ziel sind gemeinsame Maßnahmen, um den Preissteigerungen in Deutschland etwas entgegenzusetzen. Ergebnisse waren zum Auftakt noch nicht vorgesehen. Geplant ist vielmehr ein längerer Prozess mit mehreren Treffen. Ergebnisse solle es im Herbst geben, hatte ein Regierungssprecher vor dem Treffen mitgeteilt.

Scholz macht sich große Sorgen über die steigenden Energiepreise, wie er in einem ARD-Interview sagte. «Wenn plötzlich die Heizrechnung um ein paar hundert Euro steigt, dann ist das eine Summe, die viele nicht wirklich bewältigen können. Das ist sozialer Sprengstoff.» Der Kanzler strebt einen längerfristigen Prozess an.

Das drängendste Problem ist derzeit der Gaspreis

Das drängendste Problem ist derzeit der Gaspreis. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnte vor einer Preisexplosion bei Stadtwerken, falls Russland den Gashahn zudreht und große Versorger weiter in Not geraten. Eine Kettenreaktion mit weitreichenden negativen Folgen erscheint möglich.

Die größten Herausforderungen bei den Preisen insgesamt aber – so sagte es Scholz – folge erst im nächsten Jahr. «Für dieses Jahr sagen fast alle, die nachgerechnet haben, dass wir bei den unteren und mittleren Einkommen ungefähr 90 Prozent der Preissteigerungen durch die vielen Maßnahmen, die wir ergriffen haben, aufgefangen haben.»

Historisches Vorbild

1967 gab es den ersten Abschwung im Wirtschaftswunderland Deutschland. Der SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller wollte deshalb die Anti-Krisenpolitik in einer Konzertierten Aktion mit Arbeitgebern und Gewerkschaften abstimmen.

Der Staat wollte also mit eigenen Maßnahmen Preisentwicklung und Wirtschaft beeinflussen. Konsens mit den Sozialpartnern sollte in der Sache helfen – und Demokratie und Gemeinsinn festigen. Das will auch Scholz – sein Motto: «Wir müssen uns unterhaken und zusammenhalten.»

Forderungen der Gewerkschaften

DGB-Chefin Yasmin Fahimi machte sich für eine Preisgarantie für einen Grundbedarf an Strom und Gas stark. Der «Bild am Sonntag» sagte sie, der Grundbedarf solle für jeden Erwachsenen und jedes Kind im Vorhinein festgelegt werden. Ähnliches forderte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Grundsätzlich wehren sich die Gewerkschaften gegen die Vorstellung, Preissteigerungen würden durch höhere Löhne angeheizt. So sagte Verdi-Chef Frank Werneke: «Dauerhaft steigende Preise müssen durch dauerhaft wirkende Tariflohnsteigerungen vollumfänglich ausgeglichen werden.» Das gelte in der Folge auch für Rentenanpassungen und den Mindestlohn. Bei den Entlastungen müsse nachgeliefert werden.

Einwurf des Bundespräsidenten

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warb für weitere Entlastungen. «Das haben wir noch nicht erlebt, vierfach höhere Preise, nicht nur an den Tankstellen, sondern auch vor allen Dingen für das Gas», sagte Steinmeier am Wochenende im ZDF. Man werde Instrumente überlegen müssen, wie man vor allem Geringverdienern das Leben erleichtere.

Der Kanzler zeigt sich zurückhaltend. Scholz wies auf die bisherigen Entlastungsmaßnahmen in Höhe von 30 Milliarden Euro hin. «Gerade in diesem Augenblick werden alle diese Maßnahmen ausgerollt», sagte er. «Das wird jetzt nicht gehen, indem man ein 30-Milliarden-Euro-Paket beschließt (…) und dann diskutieren wir schon wieder die nächsten.»

Umstrittene Einmalzahlung

Wenig Begeisterung hatte es bei den Gewerkschaften ausgelöst, als berichtet wurde, Scholz wolle die Beschäftigten mit einer Einmalzahlung entlasten – zu zahlen durch die Unternehmen, flankiert durch den Staat, der auf Steuern und Abgaben auf die Geldspritze verzichten würde, und ein Stück weit ausgeglichen durch gewerkschaftliche Lohnzurückhaltung in Tarifverhandlungen.

Scholz wies entsprechende Berichte nun aber als «eine freie Erfindung» zurück. «Wir haben uns natürlich Gedanken gemacht, wie wir Aktivitäten von Gewerkschaften unterstützen können, gerade wenn die Preise im nächsten Jahr steigen», sagte er. «Aber niemand schlägt vor, dass deshalb die eigentlichen Lohnerhöhungen ausbleiben sollen.»

Grüne für Umverteilung

Grundsicherungsbeziehende und generell kleine und mittlere Einkommen müssten entlastet werden – so fordern es die Grünen. Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Andreas Audretsch hat dafür einen Beitrag durch die besonders Wohlhabenden ins Spiel gebracht.

«Alle müssen sich nun die Frage stellen, wie sie einen Beitrag leisten können», sagte Audretsch. «Das gilt vor allem für die, die sehr viel haben, für die Reichsten.»

FDP gegen mehr Ausgaben und höhere Steuern

Bundesfinanzminister Christian Lindner lehnt mehr Schulden und höhere Steuern aber ab. Dies «wäre toxisch und ein Verarmungsprogramm», sagte der FDP-Chef der Deutschen Presse-Agentur. Auch massive Erhöhungen der Staatsausgaben kommen für ihn nicht in Frage.

«Ein zentraler Beitrag des Staates ist, durch solide Finanzen zusätzlichen Preisdruck zu vermeiden.» Statt nur die Folgen der Inflation zu dämpfen, müsse der Staat die Ursachen bekämpfen. «Zugleich sollten wir preistreibende Subventionen reduzieren und alles tun für günstigere Energie.»

Unterschiedliche Akzente der Ökonomen

«Nur höhere Löhne und Sozialleistungen können nachhaltig den Schaden für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen kompensieren», sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, der dpa. Der Wirtschaftsweise Achim Truger sagte der Mediengruppe Bayern hingegen, es sollte keine übermäßigen Lohnsteigerungen geben. Eine Fortsetzung der Corona-bedingten Lohnzurückhaltung sei allerdings auch nicht sinnvoll.

«Grundsätzlich wäre es auch möglich, durch befristete Energiesteuersenkungen oder Preisdeckel die Inflation zu dämpfen», so Truger. «Das wäre aber kontraproduktiv, weil dadurch die aktuell so wichtigen Einsparanreize vermindert würden.»

Den Arbeitgebern ist am meisten daran gelegen, dass die Unternehmen nicht in noch schwereres Fahrwasser geraten – auch wenn sie unter Lieferengpässen und Energiepreisen leiden.

Weitere Vorschläge

Das von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgeschlagene soziale Klimageld dürfte bei der Konzertierten Aktion wieder auf den Tisch kommen. Einmal im Jahr soll dem Vorschlag zufolge so ein Klimageld gezahlt werden – für Alleinstehende, die weniger als 4000 Euro brutto im Monat verdienen, und für Verheiratete mit zusammen weniger als 8000 Euro.

Der CDU-Sozialflügel forderte eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel. Die neuen Linke-Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan verlangten in der «Süddeutschen Zeitung» einen Preisdeckel für Grundnahrungsmittel.

Von Basil Wegener, dpa