Aus Russland fließt immer weniger Gas nach Europa. Ab heute will der russische Energiekonzern Gazprom die Liefermenge durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Deutschland nochmal um die Hälfte verringern – auf dann nur noch 20 Prozent der maximalen Kapazität. Muss daher demnächst der Staat die Gasverteilung in Deutschland übernehmen?
Dies wäre bei der Notfallstufe im Notfallplan Gas der Fall. Experten glauben, dass sich dies noch abwenden lässt. Es kommt vor allem auf eins an: mehr Gas sparen.
«Im Gas sparen liegt der Schlüssel zur Vermeidung einer möglichen Gasmangellage», sagt etwa die Energie-Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Gasspeicher könnten nur dann ausreichend befüllt werden, wenn Gas eingespart werde. «Die geplanten Auktionen, bei denen die Industrien sich bewerben können und Entschädigungen für das Gassparen bekommen, sollten sofort begonnen werden», sagte Kemfert der Deutschen Presse-Agentur. Zudem müsse man Haushalten helfen, Gas zu sparen. «Prämien wären sinnvoll.» Um die Gasmangellage zu verhindern, müsse dringend mehr getan werden, um Gas einzusparen. «Wir sind sehr spät dran, was unsere Anstrengungen beim Gassparen angeht.»
Sparen und Alternativen suchen
Auch für Andreas Fischer vom Institut der deutschen Wirtschaft steht noch nicht fest, dass die Notfallstufe im Notfallplan Gas ausgerufen werden wird. «Ob es zu einer Gasmangellage kommt, kann noch nicht abschließend gesagt werden», sagte der Ökonom. «Vor allem, weil man nicht weiß, wie sich die russischen Lieferungen in den kommenden Wochen und Monaten entwickeln.» Es sei weiter wichtig, einerseits Gas einzusparen und andererseits umfangreich verflüssigtes Erdgas (LNG) nach Europa zu importieren. «Nur so ist eine weitere Einspeicherung für den Winter möglich.» Eine schnelle Umsetzung der geplanten deutschen LNG-Terminals in den kommenden Monaten sei «essenziell».
Und was sollen Gas-Haushaltskunden machen? «Geld zur Seite legen und Energie sparen», rät der Energieexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, Udo Sieverding. Er hält es für möglich, dass mit der nächsten Abrechnung die Abschläge auf das Drei bis Vierfache angehoben werden. Er berichtete von einem Fall aus NRW, wo ein Versorger von einem privaten Kunden künftig das Fünffache dessen haben will, was er bislang zahlen musste. Kostete bei diesem Kunden die Kilowattstunde Erdgas bislang knapp 5 Cent, sollen es demnächst 25 Cent sein. Zum Vergleich: Im Schnitt zahlten Haushaltskunden 2021 laut Bundesnetzagentur 6,68 Cent je Kilowattstunde Erdgas.
Sieverding glaubt, dass wegen der stark gestiegenen Beschaffungspreise nach und nach alle Versorger die Preise anheben werden. Diese Entwicklung werde noch lange anhalten: «Was uns bevorsteht, ist, dass sich die Mischkalkulation der Versorger in den nächsten zwei bis drei Jahren herauswächst und wir uns dann bei 20 bis 25 Cent je Kilowattstunde Gas wiedertreffen.»
Auch die Energiewirtschaft ruft zum Sparen auf: «Es gilt jetzt, so gut wie möglich vorzusorgen», sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). «Wir müssen alles in die Waagschale werfen. Je mehr Gas heute schon eingespart wird, desto mehr können wir für die Speicherbefüllung nutzen.» Je voller die Speicher seien, desto besser komme man durch den Winter: «Ziel muss bleiben, mit vollen Gasspeichern in die Heizsaison zu gehen. Hier kann und muss jeder mithelfen – vom Industriebetrieb bis zum einzelnen Haushalt.»
Gaswirtschaft skeptisch
Die Gaswirtschaft ist in Sachen Speicherbefüllung skeptisch: «Sollte es bei einer auf 20 Prozent reduzierten Liefermenge bleiben, ist eine ausreichende Befüllung der Gasspeicher in unseren Augen nicht realistisch», sagte der Vorstand des Branchenverbandes Zukunft Gas, Timm Kehler. Aktuell drohe wegen der hochsommerlichen Temperaturen und aufgrund der zuverlässigen Lieferungen aus Norwegen und den Niederlanden aber keine Gasmangellage.
Das Gasspeichergesetz soll noch einmal verschärft werden mit einem neuen Zwischenziel für den 1. September von 75 Prozent. Zum 1. Oktober sollen die Speicher zu 85 Prozent voll sein statt wie bisher geplant zu 80 Prozent und zum 1. November zu 95 statt wie bisher 90 Prozent. Am Dienstag lag der Speicherstand bei 66,4 Prozent.
Die Speicher voll zu bekommen, hat oberste Priorität für die Bundesregierung, um möglichst gewappnet zu sein für den Winter. Wie Russland aber weiter agiert, ist unklar. «Das Regime von Wladimir Putin hat sich als Gaslieferant disqualifiziert, die Entwicklung der letzten Wochen zeigt, dass wir uns auf Gazprom nicht mehr verlassen können», sagte Kehler. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, es gebe anders als von Russland behauptet keine technischen Gründe für die Lieferkürzungen: «Putin spielt ein perfides Spiel.»
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