Um das EU-Einsparziel von 15 Prozent zu erreichen, muss Deutschland so viel Gas einsparen wie fünf Millionen vierköpfige Haushalte durchschnittlich im Jahr verbrauchen. Nach einer Rechnung der Deutschen Presse-Agentur basierend auf Daten der EU-Kommission muss die Bundesrepublik von Anfang August bis März nächsten Jahres gut zehn Milliarden Kubikmeter weniger Gas verbrauchen, um das von allen EU-Ländern beschlossene Ziel zu erreichen. Damit muss die Bundesrepublik in absoluten Zahlen mehr sparen als alle anderen EU-Länder.
Das liegt daran, dass Europas größte Volkswirtschaft auch am meisten Gas konsumiert. Insgesamt muss die EU rund 45 Milliarden Kubikmeter Gas weniger verbrauchen – Deutschland müsste also mit 10,35 Milliarden Kubikmetern fast ein Viertel davon einsparen. Das steht in Proportion zur wirtschaftlichen Kraft der Bundesrepublik, denn sie ist auch für fast ein Viertel der EU-Wirtschaftsleistung gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) verantwortlich.
Italien liegt auf Platz zwei
Andere Länder müssen zwar mengenmäßig weniger Gas sparen, dies steht aber teils nicht in Proportion zu der Wirtschaftsleistung. Auf Platz zwei bei der Einsparmenge liegt Italien mit über acht Milliarden Kubikmetern – im Vergleich zum BIP ist das verhältnismäßig viel. Frankreich muss ungefähr fünf Milliarden Kubikmeter weniger verbrauchen, das ist verglichen mit der Wirtschaftsleistung eher wenig. Das 15-Prozent-Ziel gilt für alle EU-Länder, ist jedoch zunächst freiwillig.
Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine haben sich die EU-Länder auf einen Notfallplan geeinigt, da ein Lieferstopp von russischem Gas befürchtet wird. Der Plan sieht vor, den nationalen Gaskonsum im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 freiwillig um 15 Prozent zu senken – im Vergleich zum Durchschnittsverbrauch in dem gleichen Zeitraum in den vergangenen fünf Jahren. Falls nicht genug gespart wird und es weitreichende Versorgungsengpässe gibt, kann ein Unionsalarm mit verbindlichen Einsparzielen ausgelöst werden.
Deutschland ist nach Ansicht von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bereits auf einem guten Weg. Demnach liegt die Bundesrepublik bei 14 oder 15 Prozent Einsparungen – allerdings im Vergleich zum Vorjahr und nicht temperaturbereinigt. Daher dürfte die relevante Prozentzahl deutlich niedriger sein. Eine konkrete Zahl nannte das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage nicht. Man sei in den Berechnungen und bereits getroffene Maßnahmen würden mit einbezogen.
Weitere Maßnahmen müssten jedoch folgen, um das Einsparziel zu erreichen. Aus dem Ministerium hieß es auch, dass man für Deutschland eine größere Einsparnotwendigkeit als die von den EU-Ländern beschlossenen 15 Prozent sehe.
BDI-Chef beklagt langsames Energie-Krisenmanagement
Die deutsche Industrie wirft der Bundesregierung mangelnde Geschwindigkeit im Umgang mit der Energiekrise vor. «Es geht jetzt um Entschlossenheit und Schnelligkeit», sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, der dpa. Russwurm forderte mehr Tempo bei der Umsetzung beschlossener Maßnahmen, wie dem Ersatz der Stromerzeugung aus Gas durch das Wiederanlaufen von Kohlekraftwerken. «Das ist nicht die Geschwindigkeit, die Deutschland im Krisenmanagement braucht. Deutschland befindet sich in der größten Energiekrise seit Bestehen der Bundesrepublik.»
Russwurm kritisierte außerdem, der Brennstoffwechsel in Betrieben weg von Gas zum Beispiel zurück auf Öl werde durch langwierige Genehmigungsverfahren ausgebremst. Dabei geht es um den Ausstoß von Schadstoffen. «Zum Krisenmanagement gehört es, dass Behörden Brennstoffumstellungen und andere Gaseinsparprojekte schnell genehmigen», sagte der BDI-Präsident.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sprach sich derweil erneut für den Weiterbetrieb der drei noch aktiven Atomkraftwerke in Deutschland aus. «Es wäre irrwitzig, diese Reaktoren jetzt abzuschalten», sagte der CDU-Politiker in einem Interview der «Leipziger Volkszeitung» (Donnerstagausgabe).
Greenpeace und Umwelthilfe fordern Energiesparen-Vorgaben
Die Deutsche Umwelthilfe und Greenpeace sprachen sich für staatliche Vorgaben zum Energiesparen nach spanischem Vorbild aus. «Die Bundesregierung muss jetzt unbedingt nachziehen und der Verschwendung von Energie hierzulande ein Ende bereiten», sagte der Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe, Sascha Müller-Kraenner, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Donnerstag).
Die spanische Regierung hatte am Dienstag per Dekret für zahlreiche öffentliche Gebäude Temperaturgrenzen für Kühlung und Heizung erlassen. Das verlangt Müller-Kraenner auch für Deutschland: «Es kann nicht sein, dass die Politik von den Menschen Enthaltung fordert, während sie selbst nicht handelt.»
Die Umweltorganisation Greenpeace rief Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf, «den Aspekt der Freiwilligkeit aus dem Energiesicherungspaket zu streichen und in die verpflichtende Umsetzung im öffentlichen und industriellen Bereich zu kommen».
Erdgas trägt zu rund zehn Prozent zur Stromproduktion in Deutschland bei. Durch den Weiterbetrieb der AKW im kommenden Jahr ließe sich demnach theoretisch Gas einsparen. Habeck hat unlängst einen neuen Stresstest zur Stromversorgung angeordnet. Ergebnisse sollen laut Ministerium in den nächsten Wochen vorliegen.
Der SPD-Fraktionsvize im Bundestag, Matthias Miersch, forderte indessen einen Energie-Gipfel der Regierung mit Ländern und Kommunen. «Wir müssen das Thema Einsparungen auf die Tagesordnung setzen», sagte er am Donnerstag in der Sendung «Frühstart» von RTL/ntv.
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