21. November 2024

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Neues «Deutschland-Tempo»: Erstes LNG-Terminal eröffnet

Deutschland hat ein erstes Terminal für den Import von Flüssigerdgas. Bundeskanzler Scholz hob die Geschwindigkeit hervor, mit der die Infrastruktur errichtet wurde. An dem Terminal gibt es aber auch Kritik.

Nach nur knapp zehn Monaten Planungs- und Bauzeit ist das erste deutsche Terminal für den Import von Flüssigerdgas (LNG) in Wilhelmshaven eröffnet worden.

«Das ist jetzt das neue Deutschland-Tempo, mit dem wir Infrastruktur voranbringen und es soll Vorbild sein, nicht nur für diese Anlage, sondern noch für viele, viele andere», sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Samstag bei der Einweihungsfeier, an der auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) teilnahmen.

Das schwimmende Terminal vor der niedersächsischen Nordseeküste soll dazu beitragen, die durch ausbleibende Lieferungen aus Russland entstandene Lücke bei der Gasversorgung Deutschlands zu schließen. Herzstück ist das fast 300 Meter lange Spezialschiff «Höegh Esperanza», das künftig das von Tankschiffen angelieferte verflüssigte Erdgas in den gasförmigen Zustand umwandeln und in das deutsche Gasnetz einspeisen soll. Es machte bereits am Donnerstag beladen mit LNG am Anleger fest. Eröffnet wurde das Terminal vom Ausflugsschiff «Helgoland» aus. Rund 400 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung nahmen an dem Festakt auf dem Schiff teil. Die Inbetriebnahme ist laut Betreiber, dem Gasimporteur Uniper, für kommenden Donnerstag (22. Dezember) geplant.

Für die schnelle Realisierung der Industrieanlage dankte der Bundeskanzler Arbeitern, Ingenieuren, Unternehmen und Behörden. Das Terminal sei ein «ganz, ganz wichtiger Beitrag für unsere Sicherheit». Die Bundesregierung habe nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine schnell entschieden, eine LNG-Terminal-Infrastruktur aufzubauen, um die Energieversorgung unabhängig von dem Pipeline-Gas aus Russland zu machen, erinnerte Scholz an seine «Zeitenwende»-Rede nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.

Deutschland übernehme mit dem Aufbau einer Infrastruktur für LNG-Terminals auch Verantwortung für europäische Nachbarn ohne Küsten, sagte Scholz. «Dieses Flüssiggas-Terminal ist somit auch ein Symbol europäischer Solidarität.»

Insgesamt wurden im Auftrag der Bundesregierung fünf solcher schwimmenden Terminals gechartert. Neben Wilhelmshaven sollen sie in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein), Stade (Niedersachsen) und Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) zum Einsatz kommen – zusätzlich ist noch ein weiteres, privates Terminal in Lubmin geplant. Die Terminals können nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums zusammen ein Drittel der für die Versorgung Deutschlands benötigten Erdgasmenge aufnehmen.

Spezialschiff ersetzt 11 Prozent russischer Gasimporte

Das Spezialschiff «Höegh Esperanza» soll in Wilhelmshaven laut Uniper künftig mindestens fünf Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr in das deutsche Gasnetz einspeisen. Das entspricht demnach rund sechs Prozent des deutschen Gasbedarfs und würde so rund 11 Prozent von Deutschlands Gasimporten aus Russland ersetzen.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sagte, die Eröffnung des Terminals sei ein «ermutigendes Zeichen» zum Ende eines schwierigen Jahres. Wer vor einem Jahr gesagt hätte, Deutschland werde «ruckzuck unabhängig von russischem Erdgas», wäre ausgelacht worden, sagte der SPD-Politiker. «Tatsächlich gehört es zu den großen politischen Leistungen, dass genau das gelungen ist. Dass die leeren Speicher gefüllt worden sind und dass wir heute mit der Eröffnung des ersten LNG-Terminals hier in Deutschland zeigen, wie wir auch weiter Unabhängigkeit voranbringen».

Noch wird die Anlandung von verflüssigtem Erdgas in Wilhelmshaven kaum benötigt, auch wenn das Winterwetter in den deutschen Gasspeichern weiter für sinkende Füllstände sorgt. Am Freitagmorgen waren sie laut europäischem Gasspeicherverband GIE zu 89,2 Prozent gefüllt. Das war rund ein Prozentpunkt weniger als am Vortag.

Kritik von Umwelt- und Klimaschützern

Bei Umwelt- und Klimaschützern sorgt das Terminal für viel Kritik. «Es reden jetzt alle von einer neuen Deutschlandgeschwindigkeit, was solche fossilen Infrastrukturprojekte angeht. Diese Deutschlandgeschwindigkeit hätten wir sehr gerne für den Ausstieg aus fossilen Energien genutzt», sagte Imke Zwoch, Mitglied im BUND-Landesvorstand in Niedersachsen. «Es ist eigentlich nichts zu feiern.» Vor der Veranstaltung demonstrierten etwa ein Dutzend Aktivisten der Gruppe Ende Gelände für eine grundsätzliche Abkehr von den fossilen Energien. Die Deutsche Umwelthilfe will weitere rechtliche Schritte einleiten, um eine Befristung des Betriebs zu erreichen. Eine erste Klage läuft bereits.

Vor allem an der Einleitung von mit Bioziden behandelten Abwässern an dem Spezialschiff «Höegh Esperanza» entzündet sich bei Fischern, Anwohnern und Umweltschützern in Wilhelmshaven Kritik. Zwoch sagte, alle anderen Spezialschiffe, die für den Umschlag von LNG in Deutschland zum Einsatz kommen sollen, kämen ohne den Einsatz von Bioziden wie Chlor aus. «Wir können nicht verstehen, warum man dieses halbe Jahr nicht genutzt hat, um das Schiff entsprechend umzurüsten.»

Niedersachsens Energieminister Christian Meyer (Grüne) entgegnete bei der Eröffnungsfeier, dass alle Grenzwerte eingehalten worden seien. «Wir haben keinen Umweltrabatt gegeben.» Bundeswirtschaftsminister Habeck hatte zuvor im Deutschlandfunk gesagt, dass die LNG-Anlagen notwendig und vorübergehend seien, um die Gasversorgung zu sichern. Langfristig solle eine Terminal-Infrastruktur aufgebaut werden, mit der auch grüne Gase wie Wasserstoff angelandet werden können.

Kritik aus der Opposition

Oppositionsparteien im Bundestag kritisierten die Eröffnung des Wilhelmshavener LNG-Terminals. «Scholz, Habeck und Lindner präsentieren sich wenig glaubwürdig in Arbeitsjacken als Macher, tatsächlich ist offen, ob das ein guter Tag für Deutschland ist», teilte der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch mit. «Die Energiewende der Ampel ist teuer und klimaschädlich ohne Ende.» Der AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla sagte, woher das benötigte Gas nach Wilhelmshaven geliefert werde, sei noch nicht abschließend geklärt. «Es bleibt also dabei: Die Regierung muss aus den Russland-Sanktionen aussteigen und dafür sorgen, dass Gaslieferungen durch Nord Stream möglich werden.»

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte vor übertriebener Euphorie. Die Gefahr einer Gasmangellage sei auch mit dem neuen Terminal noch nicht gebannt. «Damit die Energieversorgung in Deutschland sicher bleibt, ist die zügige Inbetriebnahme der weiteren geplanten Terminals unabdingbar», sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).