Fachkräfte im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (Mint) werden händeringend gesucht. Trotz der hervorragenden Berufsaussichten und guten Verdienstmöglichkeiten gelingt es nicht, genügend junge Leute als Nachwuchs zu gewinnen, auch weil Frauen davor zurückschrecken, ein Studium in einem Mint-Fach aufzunehmen und erfolgreich abzuschließen.
Die Misere bremst inzwischen sogar spürbar die wirtschaftliche Entwicklung aus, haben Forscher des Beratungsunternehmens McKinsey festgestellt. Bislang seien 22 Prozent der Arbeitsplätze in diesem Bereich in den EU-Mitgliedstaaten von Frauen besetzt. Gelänge es, den Frauenanteil in Tech-Rollen auf bis zu 45 Prozent im Jahr 2027 zu verdoppeln, könnte Europas Bruttoinlandsprodukt um 260 Milliarden bis 600 Milliarden Euro steigen.
Auf dem EU-Arbeitsmarkt fehlen demnach bis 2027 zwischen 1,4 Millionen und 3,9 Millionen Arbeitskräfte im Technologieumfeld, in Deutschland allein 780 000. Diese steigende Nachfrage könne in Europa durch den heutigen, überwiegend von Männern geprägten Talentpool nicht gedeckt werden. «Der Mangel an Geschlechterdiversität in Europas Technologielandschaft führt zu erheblichen Nachteilen für Beschäftigte, Innovation und die gesamte europäische Gesellschaft», erklärte Mitverfasser Sven Blumberg.
In der Grundschule und der Sekundarschulbildung gebe es keine Hinweise, dass Jungen besser in Mathe oder Informatik seien als ihre Klassenkameradinnen, sagte Mitautorin und McKinsey-Beraterin Melanie Krawina. Wenn es dann aber darum gehe, sich an der Universität für eine Mint-Disziplin einzuschreiben, zeige sich «ein erster dramatischer Absturz» auf 38 Prozent. Für die technisch orientierten Disziplinen der Informations- und Kommunikationstechnik entscheiden sich demnach nur noch 19 Prozent der jungen Frauen.
Auch das Statistische Bundesamt sieht große Nachwuchsprobleme bei den Mint-Fächern: Im Studienjahr 2021 wählten nach einer am Dienstag veröffentlichten Statistik rund 307.000 Studierende im ersten Semester ein Fach aus diesem Bereich und damit 6,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Der Rückgang hat auch mit der allgemeinen Bevölkerungsstatistik zu tun, weil die Zahlen der 17- bis 22-Jährigen aus den geburtenschwachen Jahrgängen längst nicht mehr an die der 60er Jahre herankommen.
Im internationalen Vergleich steht Deutschland den Destatis-Zahlen zufolge noch recht gut dar. 2020 entfielen 35 Prozent aller Master- und gleichwertigen Abschlüsse auf ein Mint-Fach – der höchste Anteil in der EU. Doch die Zahlen könnten viel höher sein, wenn man mehr Frauen für die Technikfächer gewinnen könnte. In der McKinsey-Studie kann man sehen, dass in Deutschland der Frauenanteil besonders niedrig ist. Während in Griechenland und Schweden ihr Anteil unter den Absolventen vom Mint-Bachelorstudiengängen jeweils bei 41 Prozent liegt, kommt Deutschland auf 22 Prozent.
Frauenanteil in Mint-Fächern steigt nur langsam
Die Zahlen der Behörde und von McKinsey sind nicht direkt vergleichbar: Doch auch Destatis weist auf eine fehlende Geschlechterparität hin. Der amtlichen Statistik zufolge entscheiden sich Frauen nach wie vor seltener für eine wissenschaftliche Hochschulausbildung in Mint-Fächern als Männer. In den vergangenen Jahren sei der Frauenanteil unter den Einsteigern zwar langsam gestiegen – von 30,8 Prozent im Jahr 2001 auf 34,5 Prozent im vergangenen Jahr. Aus den Destatis-Zahlen kann man aber auch sehen, dass sich nur wenige Frauen mit Hardcore-Themen aus dem Mint-Bereich beschäftigen wollen. Am höchsten war der Frauenanteil 2021 im Studienfach Innenarchitektur (88,2 Prozent), am niedrigsten im Stahlbau (2,2 Prozent). Bei der Informatik lag der Frauenanteil unter den Neueinschreibungen bei 21,8 Prozent.
Schon die Zahlen aus den Universitäten sind mit Blick auf die Geschlechterparität aus Sicht der Wirtschaft ernüchternd. Doch nach dem Abschluss fällt der Anteil noch einmal. Die McKinsey-Analyse zeigt, dass 23 Prozent der Absolventinnen beim Einstieg ins Berufsleben eine Tech-Rolle übernehmen. Bei Männern liegt der Wert bei 44 Prozent. Die Berater empfehlen den Unternehmen, Frauen im Technologiebereich besser zu fördern und beispielsweise flexiblere Arbeitsmodelle oder eine bessere Kinderbetreuung anzubieten. Die Firmen müssten Frauen besser an sich binden und ihnen einen Grund geben, im Technologiebereich zu bleiben. Die Bindung weiblicher Talente müsse als ein wichtiger Leistungsindikator für die Bewertung von Führungskräften einführt werden.
Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack forderte, es müsse viel früher angesetzt werden, nicht erst in Betrieben. «Schon wenn es darum geht, einen Ausbildungsplatz zu wählen, müssen Mädchen und junge Frauen gezielt angesprochen und zu einer Ausbildung im Mint-Bereich ermutigt werden», sagte Hannack. Der Frauenanteil gerade im Tech-Bereich könne nur langfristig gesteigert werden, wenn es neben guten, familienfreundlichen Arbeitsbedingungen auch darum gehe, einem geschlechterstereotypen Berufswahlverhalten entgegenzuwirken.
Mangel an weiblichen Vorbildern
Die McKinsey-Beraterin Krawina sieht vor allem in Stereotypen und einer falschen Wahrnehmung der Mint-Fähigkeiten von Mädchen gegenüber Jungen die Gründe für die ungleiche Entwicklung. «Mädchen werden häufig geringere Mint-Fähigkeiten zugesprochen als Jungen.» Gepaart mit dem Einfluss allgemeiner Stereotypen und dem Mangel an weiblichen Vorbildern führten diese Vorurteile zu mehr Erwartungsdruck. Gleichzeitig würden Mädchen und Frauen durch Lehrerinnen und Lehrer, Mitstudierende oder die Eltern geringer unterstützt.
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