23. November 2024

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IWF: «Riskante Phase» für Weltwirtschaft

Die Folgen des Ukraine-Kriegs und die hohen Verbraucherpreise lasten auf der Wirtschaft. Die Turbulenzen im Bankensektor haben gezeigt, wie fragil die Situation ist. Der IWF zeichnet auch düstere Alternativszenarien.

Die Weltwirtschaft erholt sich angesichts des andauernden Kriegs in der Ukraine und der hohen Inflation nach einer Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) nur sehr langsam – in Deutschland dürfte die Wirtschaft in diesem Jahr sogar leicht schrumpfen. Das geht aus der am Dienstag vorgestellten Konjunkturprognose hervor.

Sorge bereiten dem IWF auch die jüngsten Turbulenzen im Bankensektor. «Das Finanzsystem könnte noch mehr auf die Probe gestellt werden. Nervöse Anleger suchen oft nach dem nächst schwächeren Glied», warnte IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas. Und so hat der IWF auch beunruhige Alternativszenarien in petto, sollte sich die Lage im Finanzsektor zuspitzen.

Hoffen auf das Ende der Talsohle

In seiner Prognose senkte der IWF seine weltweite Vorhersage leicht: Das globale Wachstum werde sich im Vergleich zu 2022 (3,4 Prozent) in diesem Jahr auf 2,8 Prozent verlangsamen. Im Januar war der IWF von einem weltweiten Wachstum von 2,9 Prozent ausgegangen. Erst im kommenden Jahr soll es dann wieder etwas aufwärts gehen – das Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll dann um 3 Prozent wachsen. Die Ökonominnen und Ökonomen des IWF hoffen, dass die Talsohle in diesem Jahr erreicht ist.

«Wir treten in eine riskante Phase ein, in der das Wirtschaftswachstum im historischen Vergleich niedrig bleibt und die finanziellen Risiken zugenommen haben, ohne dass die Inflation bereits eine entscheidende Wende genommen hat», schreibt Gourinchas im Vorwort des Berichts. Bemerkenswert sei, dass die Wirtschaft besonders in den Industrienationen nur langsam wachse. Der IWF hat für dieses Jahr 1,3 Prozent auf dem Zettel. In den Schwellen- und Entwicklungsländern sieht es mit 3,9 Prozent hingegen deutlich besser aus.

Der IWF wertete als positiv, dass sich die Wirtschaft langsam von dem russischen Einmarsch in die Ukraine erhole und auch die Folgen der Pandemie überwinde. Zentral dafür seien der Rückgang der «kriegsbedingten Verwerfungen» auf dem Energie- und Lebensmittelmarkt und das Ende der Corona-Abschottung in China. «Unter der Oberfläche jedoch bauen sich Turbulenzen auf, und die Situation ist recht fragil, wie uns die jüngste Instabilität im Bankensektor vor Augen geführt hat», heißt es in dem Bericht. Der Kampf gegen die Inflation sei außerdem deutlich zäher als noch vor einigen Monaten erwartet. Der Bericht sieht erhebliche Risiken, die eine wirtschaftliche Erholung gefährdeten.

Deutschland schwächelt

Auch für Deutschland hat der IWF seine Vorhersage nach unten korrigiert – um 0,2 Prozentpunkte im Vergleich zu Januar. Er rechnet nun mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,1 Prozent. Für 2024 sagt der Bericht dann wieder ein Wachstum um 1,1 Prozent voraus. Etwas zuversichtlicher hatten sich Anfang April führende deutsche Wirtschaftsinstitute mit Blick auf 2023 gezeigt. Im laufenden Jahr rechneten sie mit einem Mini-Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 0,3 Prozent. Noch im Herbst hatten sie einen Rückgang um 0,4 Prozent und eine drohende Rezession erwartet.

Weltweit sei es eine Gratwanderung, zum einen Preisstabilität wiederherzustellen und zum anderen ein Abrutschen in eine Rezession zu vermeiden, heißt es in der Prognose. Der IWF geht aber momentan nicht von einem weltweiten Abschwung aus. Besorgniserregend sei aber, dass die Inflation weniger deutlich zurückgehe als zunächst vorhergesagt. Für 2023 rechnet der IWF weltweit mit einer Teuerungsrate von im Schnitt 7 Prozent – das sind 0,4 Prozentpunkte mehr als noch im Januar prognostiziert. Im kommenden Jahr soll sie dann bei 4,9 Prozent liegen (plus 0,6 Prozentpunkte). Für die Industrienationen rechnet der IWF in diesem Jahr mit einer Inflationsrate von 4,7 Prozent. Diese Werte sind von der Zielmarke von 2 Prozent deutlich entfernt.

Zwar trage die strenge Geldpolitik der Zentralbanken langsam Früchte, so der Bericht. Aber nun dürften die Notenbanken im Kampf gegen die hohen Verbraucherpreise nicht nachlassen. «Wenn die Zentralbanken zu diesem Zeitpunkt von der Preisstabilität abrücken, besteht die Gefahr, dass der Kampf gegen die Inflation nicht erfolgreich ist», warnte Gourinchas. Die Zinsanhebungen bergen allerdings die Gefahr, die Wirtschaft auszubremsen.

Und so zeichnet der IWF auch Alternativszenarien: Sollte etwa der Stress im Finanzsektor anhalten, könnte das weltweite Wirtschaftswachstum in diesem Jahr auf 2,5 Prozent fallen – das wäre dem IWF zufolge das schwächste Wachstum seit dem globalen Abschwung 2001 – mit Ausnahme des Beginns des Corona-Pandemie und der Finanzkrise 2009. In diesem «plausiblen» Szenario würde das Wachstum in den Industrienationen bei unter einem Prozent liegen. Sollten sich die globalen Finanzbedingungen allerdings «drastisch» verschärfen, könnte dies dramatische Auswirkungen auf die Kreditbedingungen haben. In einem solchen Szenario, das «sehr unwahrscheinlich» sei, könnte sich das weltweite Wachstum in diesem Jahr auf 1 Prozent verlangsamen.

Gute Nachrichten

Doch der IWF hat auch gute Nachrichten: Zum einen gebe es aktuell keine Anhaltspunkte für eine unkontrollierte Lohn-Preis-Spirale – also den Effekt, dass zu stark steigende Löhne als Reaktion auf die hohe Inflation die Preise weiter nach oben treiben. Ein «Silberstreif am Horizont» sei auch, dass die Turbulenzen im Bankensektor dazu beitragen könnten, die Nachfrage auszubremsen – und so einen ähnlichen Effekt wie Zinserhöhungen haben könnten. Damit könnten sie beim Senken der Inflationsrate helfen.

Von Julia Naue, dpa