Fahrgäste können mit Blick auf den Tarifstreit bei der Deutschen Bahn optimistisch sein: Im Schlichtungsverfahren haben die beiden Vermittler, die Arbeitsrechtlerin Heide Pfarr (SPD) und der frühere Verteidigungs- und Innenminister Thomas de Maizière (CDU), einen Kompromissvorschlag erarbeitet.
Der Verhandlungsführer der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Kristian Loroch, empfahl seinem Vorstand, diesen anzunehmen. Auch die Bahn-Verhandler legten ihren Gremien diesen Schritt nahe. Sollte der Bundesvorstand der Gewerkschaft und nicht zuletzt die EVG-Mitglieder per Urabstimmung dieser Empfehlung folgen, ist der seit Monaten andauernde Tarifkonflikt gelöst.
«Unsere Gespräche waren intensiv, hart und langwierig», sagte Schlichter Thomas de Maizière in Potsdam mit Blick auf die vergangenen neun Tage. Die Schlichtung wurde notwendig, weil die monatelangen Tarifverhandlungen zwischen der EVG und der Bahn Ende Juni gescheitert waren.
Schlichterin: «Erhebliche Anstrengungen» für Finanzierung nötig
Für den Konzern bedeute die Einigungsempfehlung «die Zustimmung zu dem höchsten und teuersten Tarifabschluss in der Geschichte der Deutschen Bahn», ergänzte Schlichterin Heide Pfarr. Der Konzern werde «erhebliche Anstrengungen» unternehmen müssen, um einen solchen Abschluss zu finanzieren. Alles in allem liege der Vorschlag in etwa auf dem Niveau des öffentlichen Diensts, der bereits vor einigen Monaten einen Abschluss erzielt hatte.
Konkret haben die beiden externen Vermittler Pfarr und de Maizière eine stufenweise Erhöhung der Entgelte um 410 Euro vorgeschlagen. Die erste Stufe in Höhe von 200 Euro soll noch im Dezember dieses Jahres erfolgen, die zweite im August 2024. Außerdem soll es im Oktober eine Einmalzahlung in Höhe von 2850 Euro geben. Hinzu kommen strukturelle Entgelterhöhungen für einzelne Funktionsgruppen, die am Ende der 25-monatigen Laufzeit des neuen Tarifvertrags wirksam werden sollen.
Den rund 180.000 betroffenen Bahn-Beschäftigten muss die EVG nun für die Urabstimmung erklären, was an dem Vorschlag der Schlichter attraktiver ist als an dem Verhandlungsstand, den beide Seiten bereits Ende Juni im Rahmen der dann gescheiterten Tarifverhandlungen erreicht hatten. Damals waren sie bei 400 Euro mehr pro Monat und einer Laufzeit von 27 Monaten angekommen. Auch die Einmalzahlung, eine steuer- und abgabenfreie Ausgleichsprämie für die hohe Inflation, stand nicht mehr zur Debatte. Doch die Zentrale Tarifkommission der Gewerkschaft lehnte den Vorschlag damals ab und erklärte die Tarifverhandlungen für gescheitert.
EVG: Schlichtervorschlag brächte strukturelle Verbesserungen
Der Vorschlag der Schlichter sei allerdings nur «augenscheinlich nah dran» an dem damaligen Verhandlungsstand, betonte EVG-Verhandlungsführer Loroch. Er verwies auf die strukturellen Verbesserungen für einzelne Funktionsgruppen am Ende der Laufzeit als neues Element. «Da ist das Volumen erheblich gestiegen. Was wichtig ist, um am Ende des Tages gerade in diesen Bereichen die Fachkräfte zu gewinnen und zu halten.» Die strukturellen Verbesserungen beträfen etwa Instandhalter, Zugbegleiter oder Fahrdienstleiter.
Von den Ursprungsforderungen der EVG bleibt allerdings auch der Kompromissvorschlag der Schlichter ein gutes Stück entfernt. Die Gewerkschaft wollte 650 Euro pro Monat mehr bei den Entgelten durchsetzen oder zwölf Prozent bei den oberen Einkommensgruppen. Zudem forderte sie eine Laufzeit von maximal zwölf Monaten. Laut Bahn-Personalvorstand Seiler belaufen sich die nun vorgeschlagenen Steigerungen im Schnitt auf elf Prozent höhere Entgelte.
Mehr als ein Viertel müssen bei Urabstimmung zustimmen
Ob die Mitglieder dem Vorschlag zustimmen werden, ist offen. An diesem Freitag wird zunächst der Bundesvorstand der EVG eine Empfehlung abgeben. Dann folgt die Urabstimmung, die bis Ende August angesetzt ist. Um das Votum des Bundesvorstands zu überstimmen, brauchen die Mitglieder eine Drei-Viertel-Mehrheit. Andersherum bedeutet das: Folgen mehr als ein Viertel der Teilnehmer der Empfehlung des Vorstands, gilt dieser.
Für die Fahrgäste ändert sich dadurch kurzfristig nichts. Die EVG hat Warnstreiks für die Dauer der Urabstimmung, also bis Ende August, ausgeschlossen. Sollte der Kompromissvorschlag bei der Gewerkschaft durchfallen, sind jedoch unbefristete Streiks wahrscheinlich.
Bei der Bahn wiederum gilt die Zustimmung als reine Formalie. Ein solcher Abschluss werde den Konzern, der an diesem Donnerstag seine Bilanz für das erste Halbjahr 2023 vorlegen wird, «an Grenzen» führen, betonte Personalvorstand Seiler. Gleichwohl sei er «gerade so machbar». Der Weg sei geebnet für einen Tarifabschluss «und wir hoffen natürlich sehr, dass der am Ende auch wirklich gelingt». Das dürften die Fahrgäste genauso sehen.
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