24. November 2024

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Aufklärungspflichten: BGH stärkt Immobilienkäufer

Wie weit gehen die Aufklärungspflichten von Immobilienverkäufern? Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs dazu geht nach Einschätzung von Fachleuten deutlich über den konkreten Fall hinaus.

Immobilienverkäufer müssen potenzielle Käufer über relevante Fakten informieren und unter Umständen gezielt etwa auf anstehende Sanierungskosten hinweisen. Das gilt auch für Fälle, in denen Unterlagen in einem virtuellen Datenraum eingestellt werden, entschied der Bundesgerichtshof (BGH).

Die Karlsruher Richterinnen und Richter verschärften damit die Aufklärungspflichten der Verkäufer und stärkten die Rechte der Käufer. (Az. V ZR 77/22)

Aus Sicht von Maximilian Findeisen von der Anwaltskanzlei Norton Rose Fulbright hat das nicht nur für Immobilienverkäufe, «sondern für alle Unternehmenstransaktionen zur Folge, dass die Verkäufer die Due Diligence sorgfältiger vorbereiten, umsetzen und dabei über für die Kaufentscheidung wesentliche Umstände frühzeitig und eindeutig aufklären müssen». Nicht per se muss eine Due-Diligence-Prüfung genannte Ankaufsuntersuchung durchgeführt werden. Sie findet laut dem Immobilienverband Deutschland IVD aber praktisch immer statt.

Experten sehen richtungsweisende Entscheidung

«Die Karlsruher Richter schieben der bislang üblichen Praxis der Verkäufer, sich allein durch eine übermäßige und bisweilen auch sehr kurzfristige Offenlegung von Unterlagen von jeglicher Haftung frei zu zeichnen, einen Riegel vor», erklärte Findeisen. Der stellvertretende Bundesgeschäftsführer und Justiziar des IVD, Christian Osthus, betonte nach dem Urteil: «Es genügt nicht, dass der Verkäufer alle relevanten Tatsachen jenseits von Sach- und Rechtsmängeln ungefiltert vor die Füße kippt. Vielmehr kann man die Entscheidung so verstehen, dass der Verkäufer ihn mit der Nase darauf stoßen muss.»

Welche Umstände das sind, ist vom Einzelfall abhängig, wie die Vorsitzende Richterin des fünften Zivilsenats, Bettina Brückner, erklärte. Im konkreten Fall hatte eine Firma mehrere Gewerbeeinheiten in einem großen Gebäudekomplex – dem Ihme-Zentrum in Hannover – für mehr als 1,5 Millionen Euro gekauft. Sie fühlt sich arglistig getäuscht, weil sie zu spät erfahren habe, dass hohe Kosten für die Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums auf sie zukommen könnten.

Der Fall

Es geht dabei um die Haftung der Verkäuferin wegen Verschuldens bei Vertragsschluss wegen unterbliebener Aufklärung. Die Verkäuferin hatte das Protokoll zu einer wichtigen Eigentümerversammlung erst drei Tage vor Vertragsabschluss in einen digitalen Datenraum gestellt. Aus Sicht der Klägerin geschah das «klammheimlich» und wurde ihr somit «untergeschoben». Weil es ein Freitag war, war es zudem der letzte Arbeitstag vor der geplanten Unterzeichnung.

Für die Sanierungsarbeiten waren bis zu 50 Millionen Euro angesetzt worden. Weil die Mehrheitseignerin nicht zahlen wollte, landete der Fall vor Gericht. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, nach dem die Eigentümer der Gewerbeeinheiten eine Sonderumlage zahlen sollten. Die Klägerin focht den Kaufvertrag an. Das Oberlandesgericht Celle sah die Verantwortung allerdings vor allem bei der Käuferin.

Die obersten Zivilrichterinnen und -richter Deutschlands stellten sich nun jedoch auf deren Seite, hoben das Urteil weitgehend auf und verwiesen es zur neuen Verhandlung zurück. Die Verkäuferin hätte ungefragt über den Kostenumfang aufklären müssen, der bei 50 Millionen Euro «zweifelsohne von erheblicher Bedeutung» sei. Im Fachjargon ist von «offenbarungspflichtigen Umständen» die Rede.

Käuferhorizont rückt in den Blick

Die Pflicht zur Aufklärung darüber könne zum Beispiel dann entfallen, wenn bei einer Besichtigung dem Käufer Mängel ins Auge springen oder im Zusammenhang mit Mängeln ein Sachverständigengutachten überreicht wird, erklärte Brückner. «Dagegen kann ein Verkäufer nicht ohne weiteres erwarten, dass der Käufer Finanzierungsunterlagen oder einen ihm übergebenen Ordner mit Unterlagen zu dem Kaufobjekt auf Mängel des Kaufobjekts durchsehen wird», heißt es in der Erläuterung.

Diese Rechtsprechung sei auch auf Fälle mit Datenräumen zu übertragen. «Der Umstand allein, dass der Verkäufer einen Datenraum einrichtet und den Kaufinteressenten den Zugriff auf die Daten ermöglicht, lässt nicht stets den Schluss zu, dass der Käufer den offenbarungspflichtigen Umstand zur Kenntnis nehmen wird.»

Vielmehr komme es im Einzelfall darauf an, «wie der Datenraum und der Zugriff hierauf strukturiert und organisiert sind, welche Vereinbarungen hierzu getroffen wurden, wie wichtig die Information ist, um deren Offenbarung es geht, und wie leicht sie im Datenraum aufzufinden ist». IVD-Justiziar Osthus erklärte: «Die damit verbundene Unsicherheit der Relevanz ist für Verkäufer unbefriedigend.» Aus der Entscheidung lasse sich letztlich ableiten, dass man den Käuferhorizont mehr im Blick haben müsse.

«Und wenn man etwas hervorhebt oder sagt, sollte man das als Verkäufer dokumentieren, um einen Schadenersatzanspruch des Käufers zu vermeiden», teilte Osthus mit. Ähnlich äußerte sich Kathrin Groß, Rechtsanwältin bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland, in einer Stellungnahme: «Der Hinweis auf die kaufrelevanten Umstände und die Vereinbarung eines Cut-off-Dates, ab dem keine Unterlagen mehr in den Datenraum eingestellt werden, sollten aus Sicht eines Verkäufers künftig in keinem Kaufvertrag mehr fehlen.»

Von Marco Krefting, dpa