Es ist ausgerechnet eine gesunkene Zahl von Arbeitslosen, die Arbeitsmarktexperten in Deutschland die Sorgenfalten auf die Stirn treibt: 2,627 Millionen Menschen waren im September arbeitslos gemeldet. Das sind – bei einer nur minimal um 0,1 Punkte auf 5,7 Prozent gesunkenen Arbeitslosenquote – 69.000 weniger als im August. Aber dieser Rückgang fiel eben geringer aus als sonst im September üblich.
Verglichen mit September 2022 stieg die Quote um 0,3 Punkte, wie aus der am Freitag vorgestellten Statistik der Bundesagentur für Arbeit weiter hervorgeht. Die Zahl der Arbeitslosen liegt um 141.000 höher als vor einem Jahr. Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist gestiegen. Die Bundesagentur griff für ihre September-Statistik auf Datenmaterial zurück, das bis zum 12. September vorlag.
«Im September sind in allen Bundesländern die Schul- und Betriebsferien vorbei, und es gibt die Herbstbelebung am Arbeitsmarkt», sagte Daniel Terzenbach, Mitglied im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA). Normalerweise geht die Zahl der Arbeitslosen in diesem Monat um etwa 90.000 nach unten. «In diesem Jahr fallen die Rückgänge vergleichsweise gering aus», resümierte er. «Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten hinterlassen mittlerweile jedoch deutliche Spuren.»
Arbeitsminister: Beschäftigte fit machen für Arbeit der Zukunft
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) appellierte angesichts der Zahlen an die Arbeitgeber: «Für Unternehmen gilt es weiterhin, Fachkräfte zu sichern und sie auf den rasanten technologischen Wandel vorzubereiten, der parallel stattfindet.» Es sei wirtschaftlich vernünftig, die Beschäftigten gerade jetzt fit für die Arbeit der Zukunft zu machen.
DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel betonte, es dürfe nicht bei den Jobcentern gespart werden, wenn Perspektiven für Arbeitssuchende schlechter würden. «Wenn Arbeitgeber sich bei Neueinstellungen stärker zurückhalten, bleiben mehr Menschen ohne Job und landen in der Langzeitarbeitslosigkeit. Das betrifft in Deutschland bald eine Million Menschen», sagte sie.
Die Nachfrage nach Arbeitskräften in Deutschland ist weiterhin sehr hoch, es fehlt an vielen Stellen Personal. Die Zahl der offenen Stellen gab die Bundesagentur im September mit 761.000 an. Allerdings lässt auch die Nachfrage leicht nach. Vor einem Jahr lag die Zahl der gemeldeten unbesetzten Stellen noch um 113.000 höher. Allerdings waren mit 45,99 Millionen Menschen im August noch immer 347.000 Menschen mehr erwerbstätig als vor einem Jahr. Zahlen für September liegen für die Erwerbstätigkeit noch nicht vor.
Ohne Einwanderung wäre Bedarf an Personal nicht zu decken
Der Zuwachs an Beschäftigung sei ausschließlich auf Zuwanderung zurückzuführen, sagte Terzenbach. Ohne Einwanderung wäre der Bedarf an Personal nicht zu decken. In einigen Regionen Deutschlands, darunter Flächenländer Ostdeutschlands, wachse die Beschäftigung bereits jetzt trotz Zuwanderung nicht mehr.
Die Zahl der Menschen im Erwerbsalter werde in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vor allem im Osten Deutschlands abnehmen – trotz Zuwanderung, teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit. Zum Jahresende 2022 lebten 51,4 Millionen Menschen im Alter von 18 bis 64 Jahren in Deutschland, davon 7,2 Millionen in den ostdeutschen Ländern.
In den nächsten 20 Jahren werde deren Zahl in Ostdeutschland zurückgehen – um mindestens um 560.000 (-8 Prozent) bis etwa 1,2 Millionen Menschen (-16 Prozent).
«Die demografische Entwicklung hat das Fachkräfteangebot weiter ausgedünnt», sagte die Chefvolkswirtin der staatlichen Bankengruppe KfW, Fritzi Köhler-Geib. «Die Zahl der Menschen im Haupterwerbsalter wird sich im Jahr 2023 ohne Zuwanderung um etwa 630.000 verringern. Gleichzeitig wird die Zahl der Menschen, die das Rentenalter erreichen, um mehr als 350.000 steigen. 2024 wird sich diese Entwicklung leicht verstärkt fortsetzen», betonte sie. Es sei eine noch entschlossenere Eindämmung des Fachkräftemangels notwendig – nicht nur durch Zuwanderung.
BA-Vorstand Terzenbach betonte, bundesweit sei derzeit mehr als eine halbe Million Menschen aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Damit seien 70 Prozent der Männer berufstätig. Bei den Frauen seien es nur 29 Prozent. «Wir sehen am aktuellen Rand, dass es schwieriger wird, Beschäftigung aufzunehmen», sagte Terzenbach.
Kein klares Bild bei Kurzarbeit
Die Entwicklung der Kurzarbeit gibt derzeit keinen klaren Aufschluss über die Situation in den Betrieben. Die jüngsten belastbaren Daten aus dem Juli zeigen, dass die BA für 124.000 Personen konjunkturelles Kurzarbeitergeld gezahlt hat. Im Juni waren es 158.000, im Mai 156.000. Der Rückgang ist unter Umständen mit dem Auslaufen des erleichterten Zugangs nach der Corona-Pandemie zu erklären.
Unternehmen hätten zwischen dem 1. und 23. September für weitere 50.000 Beschäftigte Kurzarbeit angemeldet, eine Steigerung gegenüber dem Vormonat. Ob dies dann aber tatsächlich in Anspruch genommen wurde, ist nicht klar.
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