Im Wirecard-Prozess hat der erste aus Südostasien angereiste Zeuge den zentralen Anklagevorwurf der Scheingeschäfte gestützt. Laut Aussage des aus Malaysia geladenen Managers Yoshio Tomiie war der seit 2020 untergetauchte frühere Wirecard-Vertriebsvorstand Jan Marsalek maßgeblich an der Gründung der Singapurer Senjo-Firmengruppe beteiligt. Das sagte der 64 Jahre alte Japaner am Mittwoch vor dem Landgericht München I. Senjo war laut Anklage eines der Firmenkonstrukte, über die nicht existente Kreditkartenzahlungen abgewickelt wurden.
Tomiie war mehrere Jahre für die Senjo-Gruppe tätig. Nach der von Dolmetschern übersetzten Aussage des Managers hatte deren Tochtergesellschaft Senjo Payment aber weder die Technik noch das Personal, um Zahlungsverkehr abzuwickeln: «In dem Gebäude habe es keinen Zahlungs-Gateway und keine Server gegeben, sagte der 64-Jährige am 96. Prozesstag. «Da fehlten die Mitarbeiter, die gab’s nicht.»
Ex-Vorstandschef Markus Braun, der ehedem in Dubai für Wirecard tätige Manager Oliver Bellenhaus und der frühere Chefbuchhalter des 2020 kollabierten Dax-Konzerns stehen seit über einem Jahr in München vor Gericht.
Wie lautet die Anklage?
Laut Anklage sollen sie als gewerbsmäßige Betrügerbande gemeinsam mit Marsalek und weiteren Komplizen Milliardenumsätze mit sogenannten Drittpartnern im Mittleren Osten und Asien nur vorgetäuscht haben. Eine maßgebliche Rolle spielten demnach drei dieser Firmen: Al Alam in Dubai, Payeasy auf den Philippinen und die Senjo-Gruppe in Singapur, für die Tomiie tätig war.
Der Vorsitzende Richter Markus Födisch legte Tomiie aus den Ermittlungsakten eine Liste zu angeblichen Umsätzen der Senjo-Gruppe mit japanischen Firmenkunden vor. «Ich hätte es eigentlich mitbekommen sollen, wenn es existiert hätte», sagte Tomiie dazu.
Braun bestreitet sämtliche Vorwürfe. Der seit dreieinhalb Jahren in Untersuchungshaft sitzende Österreicher beschuldigt seinerseits Marsalek und Bellenhaus, ohne sein Wissen und ohne seine Beteiligung immense Summen aus realen Geschäften veruntreut zu haben. «Da fehlen mir die Informationen, um das zu stützen oder zu widerlegen», erklärte Tomiie.
Auch nach Darstellung Tomiies stand Marsalek hinter der Gründung der Senjo-Gruppe. Der seit 2020 untergetauchte Marsalek dachte sich demnach sogar den Namen der Firmengruppe aus. Zuerst habe Marsalek «Koyasan» vorgeschlagen, sagte Tomiie. «Das ist ein heiliger buddhistischer Berg in Japan». Deswegen sei das nicht möglich gewesen.
Dann habe Marsalek sich für «Senjo» entschieden, ebenfalls ein Berg in den japanischen Alpen, aber ohne religiöse Bedeutung für Buddhisten. Außerdem bedeutet das Wort «Senjo» nach Tomiies Worten «Schlachtfeld». «Da habe ich gesagt, das passt.»
Offen blieb jedoch Tomiies eigene Rolle. Der Vorsitzende Födisch fragte den Zeugen mehrfach, was er und die übrigen Senjo-Mitarbeiter eigentlich gearbeitet hätten: «Irgendwas müssen die ja gemacht haben».
Wusste Tomiie mehr, als er sagen wollte?
Nach Tomiies Darstellung trug er zwar den Titel «Director», lebte aber nicht in Singapur, dem Sitz der Senjo-Gruppe, sondern in Malaysia. Und für Senjo gearbeitet habe er nur selten. Richter Födisch ließ durchblicken, dass Tomiie nach seiner Einschätzung mehr wusste, als er im Zeugenstand sagen wollte: «Mir ist nicht nachvollziehbar, wenn Sie nichts zu den Entscheidungen wissen», seufzte der Vorsitzende.
Die Mehrheit der im ersten Jahr des Prozesses vernommenen Zeugen waren ehemalige Wirecard-Mitarbeiter aus Deutschland, die zu den Anklagevorwürfen nichts Konkretes sagen konnten.
Mehr wissen könnten Auslandszeugen, die im Mittleren Osten – oder wie Tomiie – in Südostasien näher am Tatgeschehen waren. Doch die meisten der bisher geladenen Auslandszeugen haben nicht einmal auf die Ladung geantwortet, geschweige denn, dass sie in dem unterirdischen Münchner Gerichtssaal in der JVA Stadelheim erschienen wären.
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