Deutschland im Streikmodus: Kaum sind die jüngsten Streiks bei der Deutschen Bahn beendet, machen die Luftsicherheitskräfte weiter. Mit einem Warnstreik an zahlreichen Flughäfen werden sie weite Teile des deutschen Flugverkehrs lahmlegen.
Freitag treten die Bus- und Straßenbahnfahrer in den Ausstand: Tarifstreitigkeiten mit größeren Auswirkungen auf die Bevölkerung gibt es gerade mehrere. Was kommt in diesem Jahr noch auf die Verbraucherinnen und Verbraucher zu? Ein Überblick.
Luftsicherheitskräfte
Verdi hat die Beschäftigten privater Sicherheitsdienste an elf Flughäfen aufgerufen, am Donnerstag nicht zu arbeiten. Gestreikt werden soll an den Flughäfen Hamburg, Bremen, Hannover, Berlin, Köln, Düsseldorf, Leipzig, Dresden, Erfurt, Frankfurt/Main und Stuttgart. Ausnahmen sollen der Flughafen München und einige kleinere Flughäfen sein.
Die Luftsicherheitskräfte sind an den Kontrollen für Passagiere, Gepäck und Personal zumeist im Auftrag der Bundespolizei tätig. Verdi verhandelt bundesweit für etwa 25.000 Beschäftigte mit dem Bundesverband der Luftsicherheitsunternehmen (BDLS).
ÖPNV
Morgen geht es mit einem Warnstreik im öffentlichen Personennahverkehr weiter. Verdi hat die Beschäftigten im kommunalen Nahverkehr von fast allen Bundesländern dazu aufgerufen. Bayern ist ausgenommen, weil dort derzeit nicht verhandelt wird. In Berlin soll der Ausstand zudem auf den Morgen beschränkt sein.
Dennoch müssen sich Fahrgäste in vielen Regionen auf weitreichende Einschränkungen im Bus-, Straßen- und U-Bahnverkehr einstellen. Von den parallelen Tarifverhandlungen im ÖPNV sind laut Verdi mehr als 130 kommunale Unternehmen in rund 80 Städten und rund 40 Landkreisen mit insgesamt 90.000 Beschäftigten betroffen.
Bahn
Der Tarifstreit zwischen Deutscher Bahn und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) geht in den nächsten Wochen erst mal ohne weitere Streiks weiter. Die Tarifparteien wollen wieder verhandeln. Bis 3. März soll es keine weiteren Arbeitskämpfe der GDL geben.
Uniklinik-Ärzte
Auch Uniklinik-Ärzte haben jüngst einen Tag lang ihre Arbeit niedergelegt. An einem Warnstreik der Gewerkschaft Marburger Bund nahmen am Dienstag mehrere tausend Mediziner teil. Nach Angaben der Gewerkschaft mussten sich Patienten teilweise auf längere Wartezeiten einstellen. Auch wurden nicht dringliche Operationen verschoben. Aufgerufen waren die mehr als 20.000 Ärzte an den bundesweit 23 landeseigenen Unikliniken.
Lufthansa
Auch im Lufthansa-Konzern sind Warnstreiks nicht ausgeschlossen. Die Kabinengewerkschaft Ufo hat die Gehaltsverhandlungen für rund 18.000 Flugbegleiter der Stammgesellschaft einseitig abgebrochen, wie Ufo am Mittwoch mitteilte. Kaum verhohlen drohte die Gewerkschaft mit Streik, wenngleich eine Entscheidung der Tarifkommission noch nicht gefallen sei.
Handel
Noch offen ist, wie es in den festgefahrenen Tarifkonflikten im Einzelhandel sowie im Groß- und Außenhandel weitergeht. Begleitet von zahlreichen Warnstreiks wird dort schon seit mehreren Monaten verhandelt – in einigen Tarifgebieten schon seit April 2023.
Nächste Tarifverhandlungen stehen an
Das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf hat einen umfassenden Überblick über die Tariflandschaft. Demnach laufen zwischen Dezember 2023 und Dezember 2024 für knapp zwölf Millionen Beschäftigte allein von den DGB-Gewerkschaften vereinbarte Vergütungstarifverträge aus.
Im Frühjahr enden etwa die Tarifverträge in der Druckindustrie (109.000 Beschäftigte), im Bauhauptgewerbe (731.000) und in der Leiharbeitsbranche (700.000). Im Juni laufen die aktuellen Tarifverträge der Chemischen Industrie (585.000) und der Systemgastronomie (79.000) aus.
Ab September 2024 starten die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie, der größten Tarifbranche in Deutschland mit über 3,6 Millionen Beschäftigten. Ende 2024 laufen schließlich die Tarifverträge für den Öffentlichen Dienst bei Bund und Gemeinden (2,4 Millionen Beschäftigte) aus.
Experten rechnen mit «konfliktreichen Tarifverhandlungen»
Tarifexperte Hagen Lesch vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) rechnet mit «konfliktreichen Tarifverhandlungen». Die Gewerkschaften würden anstreben, die Reallöhne zu steigern, schreibt Lesch jügst veröffentlichten Analyse. «Da die Inflationsausgleichsprämie schon weitgehend ausgeschöpft wurde, kann dieses Instrument die Kompromissfindung nicht weiter erleichtern.»
Zuletzt sei zu beobachten gewesen, dass einige Gewerkschaften hohe Lohnforderungen stellten und die Prämie «on top» verlangten. «Zu dieser expansiven Ausrichtung der Gewerkschaften kommt hinzu, dass sie Konflikte nutzen, um Mitglieder zu gewinnen.» All dies spreche für konfliktreiche Tarifverhandlungen.
Ob das Konfliktniveau 2024 ähnlich hoch sein wird wie 2023, hängt laut Lesch aber auch von der Kompromissbereitschaft der Arbeitgeber ab. Denn: «Einerseits leiden viele Unternehmen unter der derzeitigen Stagnationsphase, andererseits ist der Arbeits- und Fachkräftebedarf vielerorts weiterhin hoch.»
Tarifexperte: Verhandlungsposition der Arbeitnehmer verbessert
Thorsten Schulten, der Leiter des WSI-Tarifarchivs, sieht es ähnlich: «Die Härte der Verhandlungen wird vor allem davon abhängen, inwieweit die Arbeitgeber bereit sind, das Interesse ihrer Beschäftigten an Reallohnzuwächsen anzuerkennen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Dabei habe sich in vielen Branchen die Verhandlungsposition der Arbeitnehmerseite wegen des Fach- oder gar allgemeinen Arbeitskräftemangels deutlich verbessert. «Dies führt zu einem neuen Selbstbewusstsein und einer höheren Bereitschaft, für die eigenen Interessen einzustehen. Dies könnte tatsächlich zu mehr Warnstreiks führen.»
Allerdings seien die meisten Streiks in Deutschland kleine betriebliche und lokale Streiks, von denen die Öffentlichkeit kaum etwas mitbekomme, so Schulten. Auch Streiks in großen Tarifbranchen wie der Bauindustrie, der Chemischen Industrie oder der Metall- und Elektroindustrie würden im Alltag der Bürgerinnen und Bürger kaum wahrgenommen.
Den Alltag der Menschen massiv stören würden allerdings vor allem Streiks im Verkehrssektor, also im ÖPNV, bei der Bahn und an den Flughäfen. Eine hohe Betroffenheit gebe es auch bei Streiks im öffentlichen Dienst, etwa in den Kitas oder in den Krankenhäusern. «Allerdings beginnen die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst erst wieder Anfang 2025, sodass hier im laufenden Jahr keine Streiks zu erwarten sind.»
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