Reifen brennen, Trecker durchbrechen Barrikaden: Begleitet von Bauernprotest haben die EU-Agrarminister in Brüssel über die Probleme der Landwirtschaft beraten. Alle Mitgliedsländer seien der festen Überzeugung, dass die Situation nicht bleiben könne, wie sie sei, sagte Belgiens Ressortchef, David Clarinval, nach dem Treffen, das von einem Großaufgebot der Polizei geschützt wurde und weitgehend hinter verschlossenen Türen stattfand. Belgien hat derzeit die halbjährlich wechselnde EU-Ratspräsidentschaft inne und leitet deswegen unter anderem die Ministertreffen.
Nachdem es Anfang Februar bereits zu gewalttätigen Szenen während Bauernprotesten in Brüssel gekommen war, eskalierte die Lage erneut. Insgesamt 900 Traktoren blockierten Straßen im EU-Viertel, wie die Nachrichtenagentur Belga unter Berufung auf die Polizei berichtete. Protestierende setzten Reifen in Brand, schütteten Gülle auf die Straße, und Pyrotechnik wurde gegen Polizisten gerichtet. Die Beamten setzten Wasserwerfer ein. Neben lautem Hupen waren immer wieder kleinere Explosionen zu hören.
Die Polizei richtete zahlreiche Straßensperren rund um die EU-Institutionen ein. Einige Bauern schafften es mit ihren Traktoren, Sperren zu durchbrechen, wie Belga berichtete. Demnach wurden Polizisten zudem mit Mist und anderen Wurfgeschossen, darunter Eier, Stöcke und Flaschen, beworfen und mussten sich teilweise zurückzuziehen. Die Polizei reagierte mit dem Einsatz von Tränengas und Wasser, um die Demonstranten zu zerstreuen.
«Wir verurteilen Gewalt immer»
Clarinval betonte auf Nachfrage: «Egal, ob es sich um Landwirte, Fußball-Hooligans oder die Covid-Proteste handelt, wir verurteilen Gewalt immer.» Die Behörden täten alles Nötige, um Sicherheit für Bürgerinnen und Bürger und die EU-Institutionen sicherzustellen. Auch der flämische Bauernverband Boerenbond distanzierte sich von den gewaltsamen Protesten.
EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski verurteilte die Gewalt durch Protestierende nicht. «Wir konzentrieren uns darauf, Lösungen zu finden, die den wichtigsten Anliegen der Landwirte gerecht werden.» Er denke, die Spannungen würden abnehmen.
In vielen Ländern der Union sind Landwirte auf den Straßen, um gegen EU-Handelsabkommen, Bürokratie und Umweltauflagen zu protestieren. Die EU-Kommission hatte daraufhin Lockerungen in Aussicht gestellt und ein Gesetzesvorhaben für weniger Einsatz von Pestiziden zurückgezogen. Die Herausforderung, Lebensmittel angesichts des fortschreitenden Klimawandels künftig umweltfreundlicher zu produzieren, dürfte auch im bevorstehenden Europawahlkampf eine große Rolle spielen.
Der deutsche Ressortchef Cem Özdemir sieht in Bauernprotesten eine Chance für grundlegende Reformen in der EU-Agrarpolitik. Durch die Proteste habe sich ein Zeitfenster eröffnet, das für lange fällige Reformen genutzt werden sollte, sagte der Grünen-Politiker vor dem Treffen. «Überall, wo Bauern protestieren, gibt es sehr viel Zustimmung, sehr viel Sympathie.» Er sprach mit Blick auf die Proteste aber auch von «Trittbrettfahrern», denen die Interessen der Landwirtschaft egal seien. «Die wollen Umstürze oder sonst was machen.»
Die Proteste zeigten nicht nur in Deutschland, sondern der gesamten EU, dass sich viel Wut über nicht gehaltene Versprechen angestaut habe, sagte Özdemir. Es brauche einen Umbau der Landwirtschaft und finanziell attraktive Angebote, um etwa mit Biodiversität gutes Geld verdienen zu können. Die Umsetzung von Reformen müsse «möglichst bürokratiearm» sein, denn die bisherige europäische Agrarpolitik sei «ein Bürokratiemonster». Sie führe dazu, dass Klima- und Artenschutz für Landwirte nicht attraktiv sei.
Ein Viertel der Zeit am Schreibtisch
Ein durchschnittlicher Landwirt verbringe ein Viertel seiner Zeit am Schreibtisch, sagte Özdemir. «Das muss dringend runter. Weg mit überbordender Bürokratie, Konzentration aufs Wesentliche. Feldarbeit statt Papierarbeit ist das Motto der Stunde.» Dabei könne die Digitalisierung genauso helfen wie weniger überflüssige Berichtspflichten.
Am Donnerstag hatte die EU-Kommission Pläne für weitere Entlastungen präsentiert. Demnach sollen bis zu 50 Prozent der Vor-Ort-Kontrollen durch nationale Behörden wegfallen. Zudem sollen bestimmte Standards, die für den guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand von Flächen sorgen sollen, vereinfacht werden. Diese Standards müssen Landwirte einhalten, um von milliardenschweren EU-Agrarsubventionen zu profitieren. Auch weitreichende Ausnahmen für besonders kleine Höfe sind vorgesehen. Welche Maßnahmen dieser Vorschläge konkret umgesetzt werden, ist offen.
Einen etwas älteren Vorschlag der Kommission zur Entlastung von Bauern will Özdemir eigenen Angaben zufolge eins zu eins umsetzen. Die Behörde hatte vorgeschlagen, rückwirkend zum 1. Januar die Vorgabe auszusetzen, vier Prozent des Ackerlandes brachliegen zu lassen oder unproduktiv zu nutzen. Dafür sollen Bauern im Gegenzug mehr stickstoffbindende Pflanzen wie Linsen oder Erbsen beziehungsweise Zwischenfrüchte anbauen. Die Mitgliedstaaten können bis Ende Februar erklären, ob sie von der Option Gebrauch machen wollen oder nicht.
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