Trotz einer besser als befürchtet ausgefallenen Bilanz im vergangenen Jahr steht dem deutschen Wohnungsbau nach Einschätzung von Ökonomen und Baubranche die wahre Talfahrt noch bevor. 2023 wurden nach Zahlen des Statistischen Bundesamts 294.400 Wohnungen fertig gestellt, wie die Wiesbadener Behörde meldete. Das waren nur 0,3 Prozent weniger als 2022, und damit erheblich mehr als von etlichen Fachleuten erwartet.
Das ursprüngliche Ziel der Bundesregierung von 400.000 neuen Wohnungen wurde jedoch – wie bislang jedes Jahr – verfehlt. «Unterm Strich bleibt allerdings: Auch im Vorjahr wurden weniger Wohnungen gebaut, als es der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum eigentlich erfordert», sagte Tim-Oliver Müller, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Bauindustrie.
Privater Hausbau geht zurück
Das Bauen ist wegen des gleichzeitigen Anstiegs der Kreditzinsen und der Baukosten in den vergangenen zwei Jahren sehr viel teurer geworden. Die Zahlen des Bundesamts deuten darauf hin, dass der doppelte Preisschock vor allem diejenigen trifft, die den Traum vom eigenen Haus nicht mehr bezahlen können:
Die Zahl der neuen Einfamilienhäuser ging um mehr als 9 Prozent auf 69.900 zurück. In Mehrfamilienhäusern, die in der Regel von Wohnungsgesellschaften oder Investoren gebaut werden, entstanden 156.300 Neubauwohnungen, 4,1 Prozent mehr als im Vorjahr.
Ministerin verbreitet Zuversicht
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) will der schlechten Stimmung in der Baubranche mit einer positiven Botschaft begegnen: «Die Baufertigstellungszahlen für 2023 zeigen ganz deutlich: Die Lage am Bau ist stabil», sagte sie.
Diese Einschätzung teilen jedoch weder Ökonomen noch die Unternehmen. Denn maßgeblich für die Zukunft sind nicht die fertig gestellten Wohnungen – dort ziehen die Bauarbeiter ab und die Bewohner ein. «Die heute veröffentlichten Baufertigstellungszahlen sind kein Grund, irgendetwas schön zu reden», sagte Axel Gedaschko, der Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW.
Die Hauptindikatoren für die zukünftige Entwicklung sind vielmehr Wohnungsbaugenehmigungen und Bauaufträge. Die Zahl der neuen Genehmigungen war 2023 um über ein Viertel auf 260.100 Wohnungen gesunken – und damit auf den niedrigsten Stand seit 2012. Und auch 2022 hatte es schon einen kräftigen Rückgang gegeben.
Der echte Einbruch auf dem Bau steht noch bevor
Was nicht genehmigt ist, wird – von wenigen Schwarzbauten abgesehen – auch nicht gebaut. Üblicherweise dauert es laut Statistischem Bundesamt zwei Jahre, bis aus einer Genehmigung dann auch tatsächlich eine Wohnung oder ein Haus wird. Somit wird die geschrumpfte Zahl der Wohnungsbaugenehmigungen 2022 und 2023 erst in diesem Jahr voll auf die Bautätigkeit durchschlagen.
Was die Bauaufträge betrifft, so ist deren absolute Zahl unbekannt. Doch in Konjunkturumfragen der Wirtschaftsforschungsinstitute klagen viele Baufirmen über Auftragsmangel – kein Zeichen, dass die Lage stabil wäre.
Besonders im Wohnungsbau haben viele Bauherren und Wohnungsunternehmen ihre Pläne verschoben oder gänzlich zu den Akten gelegt. Für dieses Jahr rechnet der Hauptverband der Bauindustrie noch mit etwa 250.000 neu gebauten Wohnungen.
Schlechte Nachrichten für Mieter
Noch pessimistischer als der Bauindustrie-Verband ist das Münchner Ifo-Institut. Dessen Bau- und Immobilienfachmann Ludwig Dorffmeister erwartet für dieses Jahr noch 215.000 neue Wohnungen, davon 120.000 in Mehrfamilienhäusern inklusive Wohnheimen.
«Die derzeitigen Genehmigungszahlen deuten klar nach unten, sodass in den nächsten Jahren immer weniger neue Projekte nachkommen werden», sagte Dorffmeister. «Der Rückgang der Fertigstellungszahlen ist also erst einmal vorgezeichnet, auch wenn der genaue Verlauf unsicher bleibt.»
Da der Wohnungsmangel in den Städten sich bei einer Wohnungsbauflaute verschärfen wird, erwarten viele Fachleute weiter steigende Mieten, obwohl die Immobilienpreise ebenfalls gesunken sind.
Und da es in Deutschland dauert, bis die Genehmigung zum Gebäude wird, würde auch ein Anstieg der Genehmigungszahlen nicht zu einer schnellen Verbesserung am Bau führen, meint der Ökonom.
«Aufgrund der langen Realisierungszeiten bedeutet umgekehrt ein möglicher mittelfristiger Anstieg bei den Genehmigungen, dass die Trendwende bei den Fertigstellungen dann erst zeitverzögert sichtbar wird.»
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