Der Winter ist noch lang, die Corona-Krise noch längst nicht vorbei. So wie einem Berliner Gastronomen dürfte es gerade vielen in der Wirtschaft gehen.
«Was mich depressiv stimmt, ist die Angst vor einer Perspektivlosigkeit», sagte der 53-Jährige. «Die Politik vertröstet uns immer wieder. Ich frage mich, wie dieses Jahr laufen soll.»
Zu Anfang dieses Jahr ist die Lage: Kneipen und Restaurants sind weiterhin dicht, dazu haben weite Teile des Handels und Dienstleistungsbetriebe wie Friseure geschlossen. Längst wird erwartet, dass der Lockdown über Ende Januar hinaus verlängert wird – weil die Infektionszahlen nicht heruntergehen und es Sorge um eine Mutation des Virus gibt.
Dazu kommt viel Frust über staatliche Coronahilfen. «Wenn es lediglich darum ginge, über das Regelungswirrwarr Frust zu schieben, wäre das zwar ärgerlich, aber noch nicht bedrohlich», sagte Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer. «Aber längst ist das nicht mehr nur frustrierend, sondern existenzbedrohend für sehr viele unserer Betriebe.» Die Hilfen würden dringend gebraucht. «Und zwar jetzt, weil sonst viele Betriebe den Lockdown nicht überleben werden.»
Die Bundesregierung habe den unter den staatlichen Reglementierungen leidenden Unternehmern Hilfe zugesagt, und zwar schnell, solidarisch und unbürokratisch, sagte der Bundesgeschäftsführer des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, Markus Jerger. Dies erweise sich heute für viele Unternehmer als «leeres Versprechen» und vergrößere die Unsicherheit im Mittelstand weiter.
Ärger herrscht auch über geänderte Förderbedingungen im «Kleingedruckten». So hatte der Bundesverband der Freien Berufe kritisiert, dass eine auf «ungedeckte Fixkosten» beschränkende Regelung bei der Berechnung der Überbrückungshilfen erst nachträglich aufgenommen worden sei – sprich: Firmen müssen Verluste vorweisen, damit Hilfen fließen.
Der Präsident des Deutschen Steuerberaterverbands Harald Elster sagte der «Welt», er gehe davon aus, dass wegen der neuen Regel 80 bis 90 Prozent aller Anträge noch einmal angepackt werden müssten. In der Folge müssten viele Unternehmen entweder bereits gezahlte Hilfen zurückzahlen oder sie bekämen weniger Geld, als sie ursprünglich gedacht hätten.
Eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte, gestellte Anträge müssten nicht neu gestellt werden. Die Aussage, dass es bei vielen Anträgen bei der konkreten Summe zu Änderungen komme, sei für das Ministerium nicht nachvollziehbar.
Das Wirtschaftsministerium machte erneut deutlich, es gehe davon aus, dass viele Firmen, die Hilfen beantragten, auch Verluste gemacht hätten. Die Bedingungen seien nicht «klammheimlich» geändert worden. Und nach einer Verzögerung wegen technischer Probleme werden die Novemberhilfen seit Dienstag über die Länder ausgezahlt. Seit Beginn der Corona-Krise seien bereits über 75 Milliarden Euro an Hilfen für die Wirtschaft bewilligt worden, dazu komme das Kurzarbeitergeld im Umfang von rund 20 Milliarden Euro.
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) versuchte im ZDF-«Morgenmagazin», die aufgeregte Debatte zu beruhigen: «Es ist völlig richtig, dass wir gemacht haben, was wir gemacht haben.» Die starke fiskalische Antwort, die Bazooka, habe ihre Wirkung entfaltet und dies wird auch international so gewertet.
Die Regierung steht aber heftig in der Kritik. «Bürokratie und komplexe Verfahren sind eine Sache, aber im Nachhinein stillschweigend die Bedingungen für die Förderung zu ändern, ist eine Unverschämtheit», sagte FDP-Fraktionsvize Christian Dürr. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, sagte dem «Handelsblatt», der Vertrauensverlust sei immens.
Der Handel forderte die Regierung auf, die Hilfen zu überarbeiten und besser an die Lage des Einzelhandels anzupassen. Sonst drohe 2021 für viele Handelsunternehmen und in der Folge auch für ganze Innenstädte zu einem «Katastrophenjahr zu werden», sagte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes HDE, Stefan Genth.
Weite Teile des Handels sind dicht – in der Industrie aber wird weiter produziert. Einen totalen Lockdown will die Bundesregierung unbedingt vermeiden. Auch deswegen sagte Claus Michelsen, Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung: «Die Lage ist besser als die Stimmung, vor allem in der Industrie. Internationale Lieferketten halten.» Im Dienstleistungsbereich aber sei die Planungsunsicherheit Gift. «Wenn Firmen nicht wissen, wann sie ihren Betrieb wieder öffnen können, ist das ein großes Problem.»
Wie aber geht es weiter nach dem schweren Einbruch der Wirtschaft im Corona-Jahr 2020? Die konjunkturelle Entwicklung hänge stark vom Infektionsgeschehen und einer erfolgreichen Impfkampagne ab, so Michelsen. Wenn alles gut laufe, könne die Wirtschaft im Sommer ein starkes Comeback feiern und das Vorkrisenniveau Anfang 2022 erreicht werden. Allerdings gebe es erhebliche Risiken wegen des Infektionsgeschehens, vor allem auch auf internationalen Absatzmärkten. «Die Frage ist außerdem, wie wirksam die staatlichen Stützungsmaßnahmen Unternehmen stabilisieren.»
Der Berliner Gastronom sagte zur Lage der Branche: «Alle wurschteln sich so durch.» Er selbst komme bisher einigermaßen gut über die Runden, weil er außer Haus verkaufe und Essen auch selbst an Kunden liefere. Außerdem habe er staatliche Unterstützung bekommen, damit könne er Miete und Strom zahlen. «Ich hoffe, dass ich im Mai wieder aufmachen kann.»
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