27. Dezember 2024

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Flächendeckender Warnstreik setzt VW unter Druck

Flächendeckender Warnstreik setzt VW unter Druck

Der Streit um harte Einschnitte bei VW eskaliert. An neun Standorten gehen Mitarbeiter in den Warnstreik. Der Konflikt kann sich weiter zuspitzen.

Der Tarifstreit bei Volkswagen spitzt sich weiter zu: Mit flächendeckenden Warnstreiks macht die IG Metall gegen die milliardenschweren Sparpläne des Autobauers mobil. An neun der zehn deutschen Standorte legten mehrere Zehntausend Mitarbeiter zeitweise die Arbeit nieder und brachten die Bänder zum Stehen. Bis zum Nachmittag zählte die IG Metall insgesamt rund 66.000 Teilnehmer an dem Ausstand, davon allein 35.000 in Wolfsburg.

Tausende zogen mit einem lautstarken Demonstrationszug durch das Stammwerk und versammelten sich zu einer Kundgebung direkt vor dem Vorstandshochhaus. «Streikbereit! Bundesweit!», skandierten sie in Sprechchören. «Wir haben die Schnauze voll», riefen Beschäftigte in Zwickau vor dem Werkstor. 

In Braunschweig schritten mehr als Tausend Beschäftigte durch die Stadt. In Hannover forderten Mitarbeiter: «Vorstand raus!» In Kassel-Baunatal machten Beschäftigte des Komponentenwerks mit Trillerpfeifen, Trommeln und Hupkonzerten ihrem Unmut Luft.

Darum geht es

Es geht um die Bezahlung der rund 120.000 Beschäftigten in den Werken der Volkswagen AG, wo ein eigener Haustarif gilt. Hinzu kommen mehr als 10.000 Mitarbeiter bei VW Sachsen, für die 2021 eine Angleichung an den Haustarif vereinbart wurde. VW fordert wegen der schwierigen Lage des Konzerns zehn Prozent Lohnkürzung. Zudem stehen Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen im Raum. Die IG Metall will das verhindern und fordert stattdessen eine Zukunft für alle Standorte – ohne Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen.

IG Metall droht mit weiterer Eskalation

In dem Streit erhöht die IG Metall nun den Druck. «Aber das ist nur eine Warnung!», sagte IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger in Wolfsburg. Sollte Volkswagen weiter auf seinen Maximalforderungen bestehen, drohe eine Zuspitzung. «Wer die Belegschaft ignoriert, spielt mit dem Feuer – und wir wissen, wie man Funken in Flammen verwandelt», sagte er laut Redemanuskript.

In Emden forderte Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste, die Konzernspitze auf, die massiven Sparpläne vom Tisch zu nehmen. «Ansonsten brennt Weihnachten nicht nur der Baum, sonst brennt jedes einzelne Werk.» In Zwickau drohte der dortige IG-Metall-Bezirksleiter Dirk Schulze bereits mit weiteren Arbeitsniederlegungen: «Sollte der Vorstand nicht zur Vernunft kommen, wird das nicht der letzte Warnstreik sein.»

Die nächste Verhandlungsrunde in einer Woche werde hier eine Weichenstellung bringen, sagte Betriebsratschefin Daniela Cavallo. Entweder komme es dann zu einer Annäherung, oder zu einer weiteren Eskalation.

«Es ist jetzt an der Zeit, dass man sich einigt»

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil appellierte an die Tarifparteien, den seit Wochen schwelenden Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen. «Es ist das gute Recht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen, und es ist jetzt an der Zeit, dass man sich einigt», sagte der SPD-Politiker, der für das Land auch im VW-Aufsichtsrat sitzt. «Alle werden sich bewegen müssen, aber eine Einigung erscheint mir möglich und notwendig.» Das Land Niedersachsen ist mit 20 Prozent der Stimmrechte an VW beteiligt.

Warnstreik auf zwei Stunden begrenzt

Die Warnstreiks dauern jeweils rund zwei Stunden und sollen danach in jeder Schicht wiederholt werden. Beendet wird der Ausstand erst mit Abschluss der Nachtschicht am Dienstagmorgen. 

Zu möglichen Ausfällen in der Produktion sagte ein VW-Sprecher am Nachmittag: «Die Auswirkungen hielten sich in Grenzen.» Zwar habe die Fertigung während der zweistündigen Warnstreiks überall geruht. Man habe sie anschließend aber ohne große Probleme wieder hochfahren können.

Experte warnt vor Imageschaden für VW

Nach Ansicht des Branchenexperten Frank Schwope dürften der zweistündige Ausstand für VW zu verschmerzen sein. «Streikbedingte Ausfälle sind leicht aufzuholen», sagte der Lehrbeauftragte für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule des Mittelstands in Hannover. Anders sähe es aus, wenn sich der Konflikt weiter zuspitzen sollte. «Ein längerer, eskalierender Arbeitskampf würde Volkswagen durchaus schmerzen und könnte auch das Image in der Bevölkerung und in der Politik lädieren.»

VW lehnt IG-Metall-Vorschlag ab

VW hatte zuvor erklärt, man respektiere das Recht der Mitarbeiter auf Warnstreiks und setze weiter auf eine einvernehmliche Lösung mit der Arbeitnehmerseite. In der Sache zeigte sich der Konzern aber hart: Ein Gegenkonzept von IG Metall und Betriebsrat für Einsparungen ohne Entlassung und Werksschließung hatte VW erst am Freitag als unzureichend zurückgewiesen. 

VW begründet die Einschnitte mit hohen Kosten und einer geringen Auslastung. Angesichts der schwachen Nachfrage nach Neuwagen müsse VW seine Sparbemühungen verstärken. Laut Markenchef Thomas Schäfer werde man dabei um Werksschließungen wohl nicht umhinkommen. In den ersten neun Monaten war der Gewinn des Konzerns massiv eingebrochen. Von roten Zahlen ist der Konzern aber weit entfernt: Von Januar bis September verbuchte VW nach Steuern noch 1,58 Milliarden Euro Überschuss.

Erst am Wochenende war bei Europas größtem Autobauer die Friedenspflicht ausgelaufen, in der Arbeitskämpfe nicht erlaubt waren. Bei Volkswagen ist es der größte Ausstand seit Jahren. Flächendeckende Warnstreiks an allen großen Werken in Westdeutschland gab es zuletzt 2018. Nach Angaben der IG Metall beteiligten sich damals mehr als 50.000 Beschäftigte.

Von Frank Johannsen, dpa