Der frühere VW-Konzernchef Martin Winterkorn kommt vorerst um einen zweiten großen Strafprozess im Dieselskandal herum.
Nach der Einstellung des Verfahrens wegen Marktmanipulation gegen die aktuelle VW-Spitze wird auch das entsprechende Verfahren gegen den 73-jährigen Ex-Vorstandsvorsitzenden abgeblasen.
Dies teilte das Landgericht Braunschweig am Freitag mit. Zu dem Vorwurf wird es damit vorläufig keine eigene Hauptverhandlung geben. An dem ab Ende Februar geplanten Betrugsprozess gegen Winterkorn wegen jahrelang erhöhter Diesel-Abgaswerte hält die Justiz aber fest.
Die Begründung ist zudem anders gelagert als im Fall des heutigen VW-Vorstandschefs Herbert Diess und Aufsichtsratschefs Hans Dieter Pötsch. Beide waren zunächst ebenfalls wegen mutmaßlicher Marktmanipulation angeklagt worden. Die mögliche Strafe, die auf Winterkorn schon im Betrugsverfahren zukommen könnte, dürfte deutlich höher sein als beim Vorwurf der zu späten Information der Finanzwelt über die Folgen der gefälschten Emissionsdaten, erklärte das Gericht.
Allgemein komme eine solche Einstellung «in Betracht, wenn die zu erwartende Strafe im Hinblick auf die Straferwartung wegen einer anderen Tat nicht beträchtlich ins Gewicht fällt», hieß es. Die Wirtschaftsstrafkammer nehme dies an – im sogenannten NOx-Verfahren könne die Teilstrafe für Winterkorn nämlich erheblich höher sein. Hier geht es um den Vorwurf des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs, am 25. Februar soll die Hauptverhandlung in Braunschweig beginnen.
Wegen angeblicher Marktmanipulation waren Winterkorn, Pötsch und Diess im September 2019 von der Staatsanwaltschaft angeklagt worden. Die Ermittler warfen ihnen vor, Anleger zu spät über die finanziellen Risiken der Abgasaffäre ins Bild gesetzt zu haben. Nachdem die Täuschungs-Software in Millionen Dieselmotoren im September 2015 zuerst in den USA dann schließlich aufgeflogen war, stürzte der Aktienkurs von Volkswagen zeitweise ab. Viele Investoren sehen sich getäuscht und fordern in einem Zivilprozess Milliarden-Schadenersatz.
Im vergangenen Frühjahr war das Verfahren zu Diess und Pötsch gegen eine Geldzahlung von jeweils 4,5 Millionen Euro durch Volkswagen an die niedersächsische Landeskasse beendet worden. Das Landgericht hatte sich mit den Beteiligten im Rahmen des nichtöffentlichen Zwischenverfahrens auf eine Einstellung unter Auflagen verständigt.
Winterkorns Anwalt Felix Dörr hatte Anschuldigungen, sein Mandant habe bereits früh über das drohende Ausmaß der Dieselaffäre Bescheid gewusst, «mit aller Entschiedenheit» zurückgewiesen: «Herr Prof. Dr. Winterkorn hatte keine frühzeitige Kenntnis von dem gezielten Einsatz einer verbotenen Motorsteuerungssoftware in US-Diesel-Pkw», sagte der Jurist zur Anklage. «Wesentliche Informationen, die ihn in die Lage versetzt hätten, bereits bekannte Probleme mit den US-Dieselmotoren zutreffend einzuordnen, erreichten ihn damals nicht.»
Auf den parallel laufenden, milliardenschweren Musterprozess von Anlegern zur VW-Dieselaffäre hat die Entscheidung vom Freitag keine Auswirkung. Es gebe keinerlei unmittelbaren Einfluss auf das zivilrechtliche Verfahren, so eine Sprecherin des Oberlandesgerichts Braunschweig. Bei dem Prozess der Kapitalanleger (KapMuG) steht die Frage im Zentrum, ob das Unternehmen Volkswagen die Märkte rechtzeitig über mögliche Konsequenzen vom «Dieselgate» informierte. Seit mehr als zwei Jahren verlangen die Investoren nun Schadenersatz für erlittene Kursverluste. Ein Ende ist nicht absehbar.
In der Frage mutmaßlicher Betrugsabsichten selbst ist Winterkorn aber noch nicht entlastet. Bisher terminiert das Landgericht den Prozessbeginn wegen des unzulässig hohen Ausstoßes von Stickoxiden (NOx) per Software-Trick weiter auf den 25. Februar. Die Programme in der Abgasreinigung waren dabei so eingestellt, dass Dieselautos auf der Straße größere Mengen der Umweltgifte freisetzten als in Tests.
Winterkorn und vier weiteren VW-Führungskräften wird neben anderen Delikten vor allem gewerbs- und bandenmäßiger Betrug vorgeworfen, weil sie die Abgasmanipulationen ermöglicht oder zumindest toleriert haben sollen. In diesem Punkt verschärften die Richter am Landgericht sogar die Anklage der Staatsanwaltschaft, die ihrerseits nur den Vorwurf eines Betrugs im besonders schweren Fall gesehen hatte.
Zuletzt waren allerdings die Zweifel gewachsen, ob das Verfahren wirklich schon im nächsten Monat starten kann oder möglicherweise verschoben werden muss. Winterkorn soll es gesundheitlich nicht gut gehen. Die Kammer ließ sich zu seiner Verhandlungsfähigkeit von einem Gutachter beraten – bleibt bisher aber bei der Planung mit 133 Terminen und oft zwei Tagen pro Woche. Die Hauptverhandlung könnte sich nach bisheriger Taktung bis mindestens ins Frühjahr 2023 ziehen.
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