23. November 2024

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EU-Wirtschaft soll ab Frühling wieder wachsen

2020 war wirtschaftlich ein Katastrophenjahr. Nun soll es in wenigen Wochen wieder aufwärts gehen. Die EU-Kommission weckt Optimismus - weiß aber auch, dass ihre Prognose wacklig ist.

Paolo Gentiloni bemühte «das sprichwörtliche Licht am Ende des sprichwörtlichen Tunnels».

Nach dem historischen Einbruch im Pandemiejahr 2020 soll Europas Wirtschaft ab Frühjahr wieder wachsen und ab Sommer Fahrt aufnehmen – wenn die Corona-Impfungen nun nach Plan gehen. Das ist der Kern der Konjunkturprognose, die der EU-Wirtschaftskommissar am Donnerstag in Brüssel präsentierte. Auch für Deutschland wird kräftiges Wachstum erwartet, wenn auch etwas weniger als im EU-Schnitt.

DIE ZAHLEN:

2020 ging es wegen Corona und wegen der Pandemie steil abwärts – nach Daten der EU-Kommission schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt in der Eurozone um 6,8 Prozent, in der EU insgesamt um 6,3 Prozent. So dramatisch der Rückgang ausfiel, so blieb er doch etwa einen Prozentpunkt geringer als die noch schlimmeren Prognosen vom November. Nun erwartet die Kommission für die 19 Staaten der Eurozone in diesem und im nächsten Jahr jeweils 3,8 Prozent Wachstum, in den 27 Staaten der Europäischen Union dieses Jahr 3,7 Prozent und 2022 dann 3,9 Prozent. «Die heutige Prognose bietet echte Hoffnung in einer Zeit großer Unsicherheit für uns alle», meinte Kommissionsvize Valdis Dombrovskis.

DIE LAGE IN DEUTSCHLAND

Deutschland liegt als größte Volkswirtschaft der Eurozone bei allen Zahlen etwas unter dem Schnitt. Das gilt für den Absturz 2020, der mit 5,0 Prozent weniger schlimm ausfiel als in vielen anderen Ländern – Spanien etwa verzeichnete ein Minus von 11 Prozent, Italien 8,8 Prozent, Frankreich 8,3 Prozent. Für diese Länder wird nun eine etwas stärkere Erholung angenommen, während das Wachstum für Deutschland mit 3,2 Prozent 2021 und 3,1 Prozent 2022 prognostiziert wird.

Auffällig ist die für 2021 erwartete Inflationsrate von 2,3 Prozent – mehr als in jedem anderen Eurostaat. Die Kommission sieht dafür zwei Gründe: die Rücknahme der Mehrwertsteuer-Ermäßigung sowie höhere Energiekosten durch die neue CO2-Abgabe zum Jahreswechsel. 2022 soll der Wert wieder auf 1,3 Prozent sinken.

DIE CHANCEN

Die Kommission begründet ihre Zuversicht vor allem mit den Impfprogrammen gegen Covid-19. Zugrunde liege die Annahme, dass das EU-Ziel erreicht werde, bis zum Ende des Sommers 70 Prozent der Erwachsenen zu impfen, sagte Gentiloni. Für das erste Quartal geht die Prognose noch von starken Pandemie-Beschränkungen aus, dann von schrittweisen Lockerungen. Das würde vor allem den vom Lockdown besonders hart getroffenen Dienstleistern helfen.

Positiv wertet die Kommission auch den Abschluss des Brexit-Handelspakts in quasi letzter Minute im Dezember. Das verringere die negativen Folgen des britischen EU-Austritts um etwa ein Drittel, sagte Gentiloni. Die EU koste der Brexit nun bis Ende 2022 rund 0,5 Prozentpunkte Wirtschaftswachstum, Großbritannien 2,2 Prozentpunkte.

DIE RISIKEN

Das Tempo der Impfungen und der Lockdown-Lockerung ist allerdings aus Sicht der Kommission auch ein Unsicherheitsfaktor. Gentiloni schloss nicht aus, dass die Impfkampagne schneller als gedacht vorankommen könnte, doch hält er auch das Gegenteil für möglich, was das Wachstum dämpfen könnte. Die Virusvarianten machen Sorge, ebenso die globale Infektionslage. Unter den Risiken verbucht die Kommission auch mögliche wirtschaftliche Langzeitfolgen, etwa durch Pleitewellen und Jobverluste. Dies würde auch dem Finanzsektor schaden, langfristige Arbeitslosigkeit in die Höhe treiben und Ungleichheiten verschärfen, warnte die Kommission.

DER JOKER

Der Effekt des europäischen Wiederaufbauprogramms im Wert von insgesamt 750 Milliarden Euro sei in der Prognose noch nicht vollständig verbucht, sagte Gentiloni. Der Aufbaufonds RRF mit 672,5 Milliarden Euro könnte im Sommer das erste Geld ausschütten. «Das bedeutet, dass die wirtschaftliche Erholung 2021 und 2022 stärker ausfallen sollte als in dieser Prognose, wenn die nationalen RRF-Pläne umgesetzt werden», sagte der Wirtschaftskommissar.

Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa