Rund eine Woche lang mussten Unternehmen auf wichtige Corona-Hilfen vom Staat verzichten. Den Grund hatte das Wirtschaftsministerium am vergangenen Freitag klammheimlich auf einer Internetseite veröffentlicht: Betrugsverdacht.
«In einigen Fällen» könnten sich Schwindler unrechtmäßig staatliche Hilfsgelder erschlichen haben. Alle Abschlagszahlungen, also Vorschüsse auf die tatsächlichen Hilfen, wurden sofort gestoppt, die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Jetzt, nach einer Woche, fließt das Geld wieder «in vollem Umfang», wie eine Sprecherin am Freitag erklärte.
Am Nachmittag bereits meldete das Ministerium: Sämtliche Anträge, die vom vorübergehenden Stopp der Abschlagszahlungen betroffen waren, seien bereits «zur Auszahlung angewiesen» worden. Das Geld werde «in den nächsten Tagen» auf den Konten der Antragstellerinnen und Antragsteller eingehen. Es gehe um 60 000 Anträge mit einem Volumen von 587 Millionen Euro. Doch wie genau die Betrüger vorgingen und ob die Lücke im System, die sie offenkundig ausnutzten, jetzt gestopft ist, blieb zunächst offen.
Mit unterschiedlichen Zuschussprogrammen – November-, Dezember- und Überbrückungshilfen – unterstützt der Staat Unternehmen und Selbstständige, die besonders vom Lockdown wegen der Corona-Pandemie betroffen sind. Entweder werden Umsatzeinbußen aufgefangen oder Fixkosten erstattet. Das Geld muss nicht zurückgezahlt werden. Damit es schneller bei den Betroffenen ankam, zahlte der Bund zunächst Abschläge von bis zu 100.000 Euro pro Fördermonat aus. Parallel stellten die Länder ein Verfahren zur regulären Auszahlung auf die Beine. Seit November wurden laut Wirtschaftsministerium rund 9,6 Milliarden Euro an Hilfen überwiesen.
Die mutmaßliche Betrüger nutzten offenkundig das mehrstufige System der Antragsstellung aus. Medienberichten zufolge gaben sie sich mit falschen Identitäten als Antragsteller aus. Denn nicht die Unternehmen selbst können Hilfen beantragen. Stattdessen müssen sie damit Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte – sogenannte prüfende Dritte – beauftragen. Ausgenommen von dieser Regel sind nur Solo-Selbstständige, die eine geringe Fördersumme beantragen.
Um Missbrauch zu verhindern hatte die Bundesregierung mehrere Sicherheitslinien eingezogen: Die Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte mussten sich registrieren, ihre Daten wurden mit dem Berufsregister abgeglichen. Außerdem bekamen sie per Post einen PIN-Code zugeschickt, um zu prüfen, dass die angegebene Adresse wirklich stimmt. Laut Ministerium haben sich rund 46.000 prüfende Dritte auf diese Weise angemeldet.
Wie genau der Betrug vor sich ging, gab die Bundesregierung unter Verweis auf laufende Ermittlungen nicht bekannt. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums kündigte aber an, dass man sich Gedanken über weitere Sicherheitslinien im System mit den prüfenden Dritten mache. Unter anderem gebe es Gespräche mit dem Finanzministerium über einen stärkeren automatischen Abgleich der Daten mit den Finanzämtern.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hatte das Wirtschaftsministerium bereits im vergangenen Herbst bei der November- und Dezemberhilfe und jüngst bei der Überbrückungshilfe III einen solchen automatischen Abgleich als zusätzliche Sicherheit verlangt. Dann wären etwa Kontonummer, Umsatzsteuer- und Steuer-ID abgeglichen worden. Das Finanzministerium habe aber mitgeteilt, dass dies «entbehrlich» und zudem nicht zügig umsetzbar sei, hieß es in Berlin.
Zuvor hatte das Wirtschaftsmagazin «Business Insider» berichtet, in der politischen Leitung des Finanzministeriums habe man Datenabgleiche trotz wiederholter Warnungen abgelehnt, da man den Angaben von Steuerberatern und Anwälten vertraut habe und ein unbürokratisches Verfahren wollte. Man sei der Meinung gewesen, die Prüfung der Unternehmensangaben durch einen Steuerberater oder Anwalt sei ein «wirksamer Missbrauchsschutz».
Am Freitag betonte ein Sprecher des Finanzministeriums, man wolle alle Möglichkeiten nutzen, um die Hilfen abzusichern. «Dazu gehört auch dieser IBAN-Abgleich», sagte er, also der Abgleich der international standardisierten Kontonummer. In den Bundesländern werde derzeit an dieser zusätzlichen Sicherheitslinie gearbeitet. Unabhängig davon habe das Wirtschaftsministerium dem Finanzministerium bereits zugesichert, dass Betrug bei den Hilfen nun «so weit wie möglich ausgeschlossen» sei. Darauf habe das Finanzministerium bestanden, bevor die Abschlagszahlungen wieder aufgenommen wurden.
Die kurzzeitige Unterbrechung der Zahlungen war nach Angaben des Ministeriums «rechtlich geboten und notwendig», um im Austausch mit den Ermittlungsbehörden, aber auch dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Unregelmäßigkeiten zu prüfen. Die regulären Auszahlungen waren laut Ministerium zu keinem Zeitpunkt unterbrochen.
Der Mittelstand begrüßte, dass das Geld nun wieder fließt. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) habe schnell gehandelt und so verhindert, dass weitere Unternehmen auf der Strecke blieben, sagte der Chefvolkswirt des Mittelstandsverbands BVMW, Hans-Jürgen Völz. Jetzt müssten die Länder die ausstehenden Hilfen so schnell wie möglich auszahlen. «Die von Insolvenz bedrohten Unternehmen dürfen unter keinen Umständen noch länger hingehalten werden.»
Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums können die Länder – zusätzlich zu den Abschlagszahlungen – jetzt auch mit den Auszahlungen der regulären Überbrückungshilfe beginnen. «Die vollständigen Auszahlungen werden damit wie geplant noch im März fließen können», sagte Altmaier der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist eine wichtige Nachricht für viele Unternehmerinnen und Unternehmen, die weiterhin stark von den Corona-Beschränkungen betroffen sind.»
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