Die Metall- und Elektroindustrie mit ihren fast vier Millionen Beschäftigten steuert auf eine der wohl konfliktreichsten Tarifrunden seit langem zu. Kurz vor dem Start der Gespräche Anfang kommender Woche warnte die IG Metall die Arbeitgeber davor, nur geringe oder womöglich gar keine Lohnerhöhungen anzubieten. Wegen der enormen Verteuerung vor allem von Energie, Sprit und Lebensmitteln sei die Stimmung unter den Mitgliedern «ausgesprochen aufgeheizt», sagte Gewerkschaftschef Jörg Hofmann am Donnerstag in Hannover.
Dort legten die Metaller ihre Strategie für die ersten Verhandlungen am Montag abschließend fest. Der Bezirk Niedersachsen/Sachsen-Anhalt macht diesmal den bundesweiten Auftakt. Der Arbeitgeberverband warb vorab um Verständnis für seine Position, hohe Entgelt-Steigerungen seien derzeit nicht vertretbar. «Viele Betriebe sind bereits massiv in ihrer Existenz gefährdet», erklärte Niedersachsen-Metall-Chef Volker Schmidt. «Die Unsicherheiten sind größer denn je.»
Gestärkte Kaufkraft gegen wachsende Kostenlast
Die Gewerkschaft verlangt acht Prozent mehr Geld über eine Laufzeit von einem Jahr – als Erhöhung, die dauerhaft in die Tariftabellen einfließt. Während die IG Metall die Kaufkraft gerade jetzt gestärkt sehen will, verweisen die Arbeitgeber auf ihre wachsende Kostenlast.
Viele Menschen merkten eine stetige Inflation, so Hofmann. «Das staut sich in einer Erwartungshaltung.» Die Wirtschaft müsse Verantwortung zeigen. «Sonst sehe ich, dass die Gesellschaft in dieser Frage zusammenbricht, auseinanderbricht – und wir das Feld Populisten überlassen, die bei dieser Frage keinen Platz haben sollten.»
Man müsse die Möglichkeiten von Firmen und Haushalten unterscheiden: «Wir ringen mit Arbeitgebern, denen es in weitem Umfang gelingt, die gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten umzuwälzen auf die Preise.» Für Betriebe, die dies nicht könnten, seien ebenso Lösungen gefragt, sagte der IG-Metall-Chef – aber vor allem «für die Millionen von Kolleginnen und Kollegen, die unter der Teuerungsrate leiden».
Hofmann wandte sich erneut auch an die Bundesregierung, deren drittes Entlastungspaket aus seiner Sicht nicht ausreicht. «Wir werden nicht alles schaffen können, was die Inflation in den nächsten zwei Jahren mit sich bringt», sagte er zur bevorstehenden Tarifrunde. «Deswegen brauchen wir politische Unterstützung.» Maßnahmen wie Gaspreisdeckel oder Strompreisbremse müssten deshalb weiter ergänzt werden.
Es sieht nach Streit aus
Der Regionalleiter der IG Metall, Thorsten Gröger, will über eine Stabilisierung der Einkommen die Nachfrage anregen. «Die einzige wesentliche Stütze der konjunkturellen Entwicklung ist der private Konsum.» Es deute sich nun allerdings eine harte Auseinandersetzung an: «Arbeitgeber, gebt acht – jetzt ist Zeit für mehr Kohle.» Die Vorzeichen sähen nach Streit aus – «erst am Verhandlungstisch, wenn nötig in Form von Warnstreiks und weiteren betrieblichen Aktionen. Auf heiße Verhandlungen kann ein stürmischer Spätherbst folgen.»
Schmidt wies die Darstellung zurück, viele Firmen könnten Erhöhungen der Preise weiterreichen. Das treffe in den meisten Fällen nicht zu. «Auch die Unternehmen sind stark betroffen», sagte er zu den Folgen der Inflation, die wieder zu Zinsanhebungen der Notenbanken führen.
Angst vor massiver Rezession
«Die gute Nachricht ist, dass die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie in der Summe gut aufgestellt sind», meinte Schmidt. «Sie können die Aufträge aktuell aber nicht abarbeiten, weil Teile und Personal fehlen – oder sie aufgrund der hohen Vorleistungskosten mit den Aufträgen Verluste machen würden.» Die Tarifpartner würden sicherlich aber auch in diesem Jahr eine gute Lösung finden.
Der Wirtschaftswissenschaftler Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gab sich in Hannover als Verfechter deutlicher Lohnzuwächse. «Auf die Wirtschaft rollt ein großer Schock zu», sagte er. Im Winter könne die Inflationsrate auf 10 Prozent klettern. «Wenn da nicht gegengesteuert wird, sehen wir eine massive Rezession.»
Die regionalen Entgelt-Tarifverträge in der Branche laufen bundesweit zum 30. September aus. Warnstreiks sind nach dem 28. Oktober möglich. In aller Regel wird im Laufe der Verhandlungen ein Pilotbezirk vereinbart, dessen Abschluss dann die übrigen Regionen übernehmen.
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