Mit dem Bahnfahren ist es wie mit dem Fahrradfahren: Immer mehr Menschen tun es, obwohl vieles dagegen spricht – in beiden Fällen vor allem eine schlechte Infrastruktur. Sie sorgt auf der Straße für Unsicherheit und auf der Schiene für Verspätungen.
Das soll sich zumindest bei der Bahn bald ändern. Mit Milliardeninvestitionen ins seit Jahrzehnten vernachlässigte Schienennetz wollen der Bund und die Deutsche Bahn die Kehrtwende schaffen. Die Zuverlässigkeit des Schienenverkehrs und damit das Vertrauen der Fahrgäste soll wieder hergestellt werden. Ob das gelingt, wird vor allem das laufende Jahr zeigen. Die Fallhöhe, die sich der Konzern und die Bundesregierung dabei selbst geschaffen haben, ist groß.
Fahrgäste setzen weiter auf die Schiene
Die gute Nachricht: Trotz hoher Unpünktlichkeit – fast zwei Drittel der Fernzüge waren im vergangenen Jahr verspätet unterwegs – nutzen viele Menschen die Bahn. 1,8 Milliarden Fahrgastfahrten verbuchte die Deutsche Bahn 2023 und damit noch einmal knapp sechs Prozent mehr als im Jahr davor. Das Fahrgastniveau von vor der Corona-Krise ist längst übertroffen.
Daran hat auch der laufende Tarifkonflikt mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer nichts geändert, der zuletzt immer wieder zu erheblichen Einschränkungen im Bahnverkehr geführt hat. Derzeit laufen wieder Verhandlungen. Personalvorstand Martin Seiler äußerte sich am Donnerstag erneut zuversichtlich, dass der Konflikt in den kommenden Tagen gelöst werden könnte.
«Wir sind froh und dankbar und ich darf mich hier ausdrücklich für die Treue und die Geduld unserer Fahrgäste bedanken, weil wir in den letzten zwei Jahren eben Unpünktlichkeiten und Unzuverlässigkeiten hatten, die eine wirkliche Zumutung waren», sagte Konzernchef Richard Lutz am Donnerstag bei der Präsentation der Jahresbilanz in Berlin.
Baustellen bremsen Fernverkehr aus
Hauptgrund für die hohe Unzuverlässigkeit ist das an vielen Stellen überlastete und marode Schienennetz und die damit verbundenen zahlreichen Baustellen. «Im Jahresdurchschnitt fuhr fast jeder zweite Fernverkehrszug durch mindestens eine Baustelle», sagte Lutz. Während die Zahl der Fahrgäste stieg, ging das Angebot aufgrund der hohen Baukapazität deutlich zurück. Die Betriebsleistung sank 2023 um 1,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Darum wollen Bahn und Bund in den nächsten Jahren die Infrastruktur grundlegend sanieren. 40 viel befahrene Schienenkorridore sollen bis 2030 ertüchtigt werden. Start ist im Juli auf der 70 Kilometer langen Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim, die dafür ein knappes halbes Jahr vollständig gesperrt wird. Die Hoffnung: Weniger Probleme in wichtigen Knoten führt auch mehr Verlässlichkeit im Gesamtnetz.
«Die Riedbahn wird spätestens dann, wenn sie umgesetzt ist, eine fundamental andere Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit zeigen», sagte Lutz. «Wir rechnen mit etwa 80 Prozent weniger Störanfälligkeit als im Moment. Und damit werden wir auch gerade mit diesen Generalsanierungen Stück für Stück und von Innen nach Außen das System gesunden und stabilisieren.» Schon im laufenden Jahr soll die Pünktlichkeit im Fernverkehr von zuletzt 64 Prozent auf mindestens 70 Prozent steigen.
Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel
Mit solchen Ansagen gehen Bund und Bahn ein großes Risiko ein. Sollten sich die Bauprojekte und die damit verbundenen Vollsperrungen etwa über Gebühr verzögern oder sich die Pünktlichkeit im Anschluss nicht grundlegend verbessern, droht ein weiterer Vertrauensverlust der Kunden. Das Ziel der Regierung, bis 2030 die Fahrgastzahlen im Fernverkehr im Vergleich zu 2015 zu verdoppeln, stünde auf dem Spiel und mit ihm die Verkehrswende.
Damit das nicht passiert, nimmt der Bund so viel Geld in die Hand wie seit Jahrzehnten nicht. Für Modernisierung und Ausbau des Netzes hat er bis 2030 rund 27 Milliarden Euro zugesichert. Mit Eigenmitteln der Bahn stehen in den nächsten Jahren insgesamt knapp 30 Milliarden Euro für diese Projekte zur Verfügung. Doch die Bahn beziffert den Bedarf auf rund 45 Milliarden Euro. Der Konzern sei weiter in Gesprächen mit der Regierung, um die Lücke zu schließen, heißt es immer wieder. Doch klar sei auch, dass nur das gebaut werden könne, was finanziell abgesichert sei.
Hohe Verluste im vergangenen Jahr
Schon im vergangenen Jahr ging die Bahn bei vielen Bauvorhaben in Vorleistung, weil die Finanzierung politisch nicht geklärt war. Sie investierte 2023 demnach rund 7,6 Milliarden Euro aus Eigenmitteln in die Ertüchtigung der Infrastruktur. Das führte zu einem Gewinneinbruch. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) sank auf ein Minus von fast einer Milliarde Euro – nach einem positiven Ergebnis von rund 1,2 Milliarden Euro im Jahr davor. Wegen der ebenfalls gestiegenen Zinslast machte der Konzern 2023 unterm Strich einen Verlust von 2,4 Milliarden Euro. Die Bahn schleppt zudem Schulden in Höhe von 34 Milliarden Euro mit sich herum.
Um diesen Berg abzubauen, verkauft der Konzern sein Tafelsilber: Für die Logistiktochter DB Schenker wird ein Käufer gesucht. Ein zweistelliger Milliardenbetrag soll herumkommen. Schenker war in den vergangenen Jahren stets ein Garant für solide laufende Geschäfte und besserte die Bilanz des Mutterkonzerns in der Regel mächtig auf. Im vergangenen Jahr spürte auch der Logistikriese die Abkühlung auf dem Transportmarkt und verzeichnete deutliche Einbußen beim operativen Gewinn. Hinzu kommt die Krise der Bahn-Güterverkehrstochter, die derzeit mit den Arbeitnehmern um die Transformation des Unternehmens ringt.
Flottenzuwachs in vollem Gange
Doch es gibt auch Lichtblicke. Beim Flottenhochlauf kommt die Bahn gut voran. Vor wenigen Wochen wurde der letzte von 137 bestellten ICE-4-Zügen ausgeliefert und vor wenigen Tagen auf den Namen «Spree» getauft. Die Fahrzeuge bilden mit insgesamt 105.000 Sitzplätzen das Rückgrat der Fernverkehrsflotte der Bahn. Weitere Baureihen sollen in den nächsten Jahren folgen. Doch ihre Verlässlichkeit hängt vom Netz ab. Alle Augen richten sich deshalb in diesem Jahr auf die Riedbahn. Auch von ihr wird abhängen, ob in Zukunft weiter mehr Menschen in den Zug steigen.
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