Angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine fordern deutsche Wirtschaftsvertreter eine Nachverhandlung des Brexit-Vertrags.
«Angestrebt werden sollte ein noch stärker integriertes Europa inklusive Großbritannien, und das sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus sicherheitspolitischen Erwägungen», sagte der Bereichsvorstand der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, Andreas Glunz. «Daher muss jetzt auch eine Neuverhandlung des Handelsabkommens zwischen EU und Vereinigtem Königreich auf den Tisch und nicht nur eines transatlantischen Handelsabkommens «TTIP 2.0»», sagte Glunz mit Blick auf Bemühungen eines Vertrags mit den USA.
Folgen des Brexits
Ein Grund für die Forderungen sind die enormen Folgen des Brexits. Der britische EU-Austritt hat den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen erheblich geschadet, wie ein aktueller Bericht von KPMG und der Britischen Handelskammer in Deutschland (BCCG) zeigt. «Der Brexit hat im Jahr 2021 – wie befürchtet – zu signifikant höheren Kosten für Verwaltung, Logistik, Zölle, Finanzierung und IT-Anpassungen bei gleichzeitig gesunkenen Umsatzerlösen geführt», schreiben Glunz und BCCG-Präsident Michael Schmidt in dem Papier, das der Deutschen Presse-Agentur in einer Vorabfassung vorlag.
Seit dem 1. Januar 2021 ist Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU-Zollunion und des Binnenmarkts. Zwar sorgt ein in letzter Minute vereinbarter Vertrag weiterhin für weitgehend zollfreien Handel. Dennoch sind Handelshemmnisse entstanden, der Bürokratieaufwand ist groß.
Die Zahlen sind ernüchternd
Das Volumen des deutsch-britischen Außenhandels sank 2021 erstmals auf unter 100 Milliarden Euro, deutsche Exporte nach Großbritannien fielen seit 2015 um 27 Prozent. Im Gegensatz dazu legten weltweite Ausfuhren um 15 Prozent zu. An der Umfrage von BCCG und KPMG zum German-British Business Outlook, die vor dem russischen Angriff durchgeführt wurde, beteiligten sich zwar nur 69 Unternehmen. Tendenzen lassen sich dennoch erkennen.
So nimmt die Bedeutung des britischen Markts ab. Immer weniger Unternehmen erwirtschaften zwischen 20 und 50 Prozent ihres globalen Handelsvolumens in Großbritannien. Zudem erwartet mehr als die Hälfte der befragten Firmen, dass die britische Wirtschaft in fünf Jahren geschrumpft sein wird – für die EU und Deutschland erwartet dies hingegen nur ein Zehntel.
«Das zeigt, wie sehr der Brexit der britischen Reputation in der Wirtschaft geschadet hat», kommentierte der Außenhandelsexperte Marc Lehnfeld von der bundeseigenen Gesellschaft Germany Trade and Invest (GTAI). Handelsbarrieren verlangsamten und verteuerten in der Tat den Warenaustausch. Die britische Wirtschaft wachse wegen des Brexits zwar langsamer, eine Schrumpfung erwartet Lehnfeld aber nicht. Es gebe weiterhin Absatzchancen, etwa bei Wasserstoff- und Offshorevorhaben oder bei Gigafactory-Projekten in der Autoindustrie.
Klar ist aber auch, dass die Brexit-Ziele, mit denen die konservative Regierung den EU-Austritt beworben hat, beileibe noch nicht erreicht sind, wie KPMG-Bereichsvorstand Glunz feststellt. Dazu zählen stärkere Autonomie, weniger Verwaltung, geringere Steuern und bessere bilaterale Handelsabkommen. «Auch das Vereinigte Königreich müsste ein großes Interesse an der Neuverhandlung eines echten Handelsabkommens mit ihrem immer noch größten Handelspartner EU haben», sagte er. Eine Änderung der aktuellen britischen Regierungsposition ist nach Ansicht von Experten aber nicht in Sicht. Im Gegenteil: Im Streit um Brexit-Regeln für Nordirland verhärten sich derzeit die Fronten zwischen London und Brüssel.
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