Die Verteidiger des früheren Wirecard-Chefs Markus Braun wollen dem Prozess um den Milliardenbetrug bei dem einstigen Dax-Konzern eine Wende geben: Die Anwälte legten der Münchner Strafkammer weit über 400 Beweisanträge vor.
Diese sollen belegen, dass der seit Sommer 2020 untergetauchte Ex-Vertriebsvorstand Jan Marsalek der Drahtzieher gewesen sei, Braun jedoch weder Komplize noch Mitwisser. Marsalek und seine Bande sollen den Konzern demnach über ein Firmengeflecht ausgeplündert und gut zwei Milliarden Euro veruntreut haben.
Größter Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte
Verteidiger Alfred Dierlamm berief sich am 52. der bisher angesetzten 100 Prozesstage auf hunderttausende Emails, Kontoauszüge und anonyme Tippgeber. «Aus der Auswertung der Email-Accounts ergibt sich kein einziger Hinweis, dass Herr Dr. Braun in die beschriebenen Machenschaften der Bande irgendwie eingebunden war oder davon gewusst haben könnte.» Nach Darstellung des Rechtsanwalts gibt es auch keine anderweitigen Hinweise auf Absprachen der Bande mit Braun. Verbunden ist das mit neuerlichen Vorwürfen an die Adresse der Staatsanwaltschaft, die den umfangreichen Mailverkehr laut Dierlamm bei ihren Ermittlungen ignoriert haben soll.
Im größten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte sind Braun und zwei weitere frühere Wirecard-Manager wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs angeklagt. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé gehen davon aus, dass Wirecard eigentlich rote Zahlen schrieb, Braun und Komplizen jedoch Scheingeschäfte in Milliardenhöhe erdichteten. Laut Anklage soll die Bande seit 2015 die Wirecard-Bilanzen gefälscht und kreditgebende Banken um 3,1 Milliarden Euro geschädigt haben.
«Dieses Narrativ ist falsch», sagte dagegen Verteidiger Dierlamm. «Es gab das Geschäft, es gab auch die Milliarden, und man muss auch nicht um den Globus reisen, um sie zu finden.» Insolvenzverwalter Jaffé hingegen hatte erst vergangene Woche in einem neuen Sachstandsbericht bekräftigt, dass es keine Spur der vermissten Milliarden gebe. Wirecard hatte im Sommer 2020 Insolvenz angemeldet, weil angeblich auf südostasiatischen Treuhandkonten verbuchte 1,9 Milliarden Euro fehlten. Das Geld ist bis heute vermisst.
Laut Verteidigung waren Braun und Chefbuchhalter nicht beteiligt
Nach Darstellung Dierlamms waren zwei der drei Münchner Angeklagten an dem Betrug nicht beteiligt: Braun und der frühere Chefbuchhalter. Eine wichtige Rolle bei den kriminellen Geschäften soll dem Anwalt zufolge hingegen der Kronzeuge der Anklage gespielt haben: Oliver Bellenhaus, der ehemalige Wirecard-Geschäftsführer in Dubai.
Hauptgeschäft des Konzerns war die Abwicklung von Kreditkartenzahlungen für Einzelhändler. Dierlamm zufolge sollen Marsalek, Bellenhaus und ihre Mittäter zahlreiche dieser Händler an eigene Firmen weitervermittelt und dafür Provisionen kassiert haben. In der Folge seien die Wirecard-Erträge geschrumpft, so Dierlamms Argument.
Und um dies zu verschleiern, sollen die wahren Täter dann wiederum Braun und weitere ahnungslose Führungskräfte hinters Licht geführt haben. Der Verteidiger warf der Münchner Staatsanwaltschaft zum wiederholten Male vor, die Zahlungsflüsse nicht aufgeklärt zu haben.
Mögliche Auswirkungen und Konfrontation der Anwälte
Das Gericht muss nicht unmittelbar über die Beweisanträge entscheiden. Geht die Kammer Dierlamms Vorwürfen nach, würde das den Großprozess verlängern. Sollten sich die Vorwürfe des Verteidigers eines Tages bestätigen, hätte das Weiterungen in mehrfacher Hinsicht: Der Ruf der Münchner Staatsanwaltschaft würde Schaden nehmen, Jaffé stünde als Insolvenzverwalter da, der Milliarden übersehen hätte. Insofern hat sich der Wirecard-Strafprozess auch zu einem Duell zweier Anwälte entwickelt: Verteidiger kontra Insolvenzverwalter.
Neben dem Strafprozess ist Braun in zahlreiche Zivilprozesse verwickelt, zum Großteil Schadenersatzklagen geschädigter Anleger, Geschäftspartner und Kunden. Gut 600 Kilometer entfernt erlitt der österreichische Manager am gleichen Tag eine Niederlage in einem Rechtsstreit mit seiner Manager-Haftpflicht. Die 9. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wies eine Klage ab, mit der der 53-Jährige den Versicherer Swiss Re per einstweiliger Verfügung zwingen wollte, für die Finanzierung der Prozesse die vereinbarte Deckungssumme von 10 Millionen Euro zu zahlen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
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