21. November 2024

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Busfahrer gesucht: Vier von zehn gehen bald in Rente

Zwar nutzen immer mehr Menschen Busse und Bahn - doch es gibt immer weniger, die hinterm Steuer sitzen. Das spüren vielerorts bereits die Fahrgäste.

Beschäftigte mehrerer Verkehrsunternehmen in NRW haben in der vergangenen Woche ihre Arbeit nieder- und den Verkehr in einzelnen Städten vorübergehend lahmgelegt. Neben dem Streik verfügen die Straßenbahn- und Busfahrer in den Verhandlungen über ein weiteres Druckmittel: In der Branche fehlt es bereits an allen Ecken und Enden an Personal. Umso größer ist der Druck auf die Arbeitgeber, die Arbeit ihrer Angestellten attraktiver zu machen. Auch in anderen Bundesländern wie Berlin waren attraktivere Arbeitsbedingungen das Kernthema der dort kürzlich abgeschlossenen Tarifrunde.  

Die Zeit drängt. Der Fachkräftemangel in der Branche wird sich in den nächsten Jahren voraussichtlich erheblich verschärfen. Vier von zehn Bus- und Straßenbahnfahrern in Deutschland sind älter als 55 und gehen in den nächsten Jahren in Rente. Das geht aus einer Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (Kofa) des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) hervor, die jüngst veröffentlicht wurde. «Mehr als 54 500 Bus- und Straßenbahnfahrer verlassen in absehbarer Zeit den Arbeitsmarkt. In keinem anderen Berufsfeld ist der Anteil der Beschäftigten, die kurz vor dem Ruhestand stehen, so groß», sagte Studienautor Jurek Tiedemann.

3600 Stellen sind unbesetzt

Schon jetzt bekommen auch Fahrgäste den Mangel an Personal zu spüren. In Umfragen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) habe zuletzt jedes zweite Unternehmen angegeben, «aus personellen Gründen den Fahrplan zumindest zeitweilig eingeschränkt zu haben», sagte der Vorsitzende des Verbandsausschusses für Personalwesen, Harald Kraus, der Deutschen Presse-Agentur. Prominentestes Beispiel dafür sind die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die seit rund zwei Jahren das Angebot an Linienbussen einschränken müssen.  

Im vergangenen Jahr verzeichnete die Berufsgruppe der Bus- und Straßenbahnfahrer verhältnismäßig den stärksten Anstieg beim Fachkräftemangel. Knapp 3600 Stellen konnten nicht mit passend qualifizierten Kandidaten besetzt werden, das waren 89 Prozent mehr als im Vorjahr. Dies ist Studienautor Tiedemann zufolge auch auf einen erhöhten Personalbedarf infolge der Mobilitätswende zurückzuführen. Deutschlandweit gibt es aktuell rund 137 300 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die als Bus- und Straßenbahnfahrer arbeiten. «Das Problem ist: Es rücken deutlich weniger junge Beschäftigte nach, als ältere in Rente gehen», sagte Tiedemann.

Das könnte mittelfristig auch die Verkehrswende gefährden. Denn damit mehr Menschen in Busse und Bahnen steigen, müsste sich irgendwann auch das Angebot erhöhen. Doch von Angebotsausbau könne derzeit keine Rede sein, betont Harald Kraus vom VDV: «Die Branche konnte bislang spürbare Angebotseinschnitte vermeiden. Doch wir kämpfen derzeit um das Aufrechterhalten des Status quo beim Fahrplan.»

Experten empfehlen verschiedene Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel. Arbeitgeber sollten ältere Menschen bei Stellenausschreibungen gezielter ansprechen. Außerdem sei es sinnvoll, mit einer altersgerechten Arbeitsgestaltung Anreize zu setzen, um Beschäftigte länger zu halten – sei es durch einen ergonomischen Arbeitsplatz, Angebote im Gesundheitsmanagement, flexible Arbeitszeiten und Homeoffice-Möglichkeiten. Der Anteil der Erwerbstätigen zwischen 55 und 64 ist zuletzt gestiegen. Im Jahr 2023 lag er bei 57 Prozent, 2013 waren es noch 43 Prozent.

Die Verkehrsunternehmen zögen bei der Personalsuche schon jetzt «alle Register», sagte VDV-Fachmann Kraus. «Etwa damit, dass Quereinsteigern, Geflüchteten oder dem Nachwuchs ein leichterer Einstieg ermöglicht wird.» Die Branche versuche zudem, mehr Frauen für die Berufe zu gewinnen und schon bei der jüngeren Generation auf die «Vorzüge in Bezug auf Sicherheit und Klimaschutz hinzuweisen». 

Verkehrswende erfordert 110.000 neue Beschäftigte

Verkehrsunternehmen wie die Rheinbahn kennen das Nachwuchsproblem gut. In dem Düsseldorfer Unternehmen, das insgesamt 3500 Beschäftigte hat, geht in den nächsten Jahren jeder dritte Fahrdienst-Mitarbeiter in Rente. «Gerade für Quereinsteigende ist dies eine attraktive berufliche Perspektive. Durch unsere Fahrausbildung können wir in drei bis sechs Monaten Menschen dazu befähigen, einen gesellschaftlich anerkannten Beruf zu erlernen und eine verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen», sagte Vorstandssprecherin Annette Grabbe. 

Als Anreiz bietet die Rheinbahn einen unbefristeten Arbeitsvertrag, zahlt schon während der Fahrausbildung das volle Gehalt und übernimmt bei der Busausbildung auch die Kosten für den Führerschein. Nach Angaben des Unternehmens gibt es aktuell etwa 100 Personen, die 67 oder älter sind und als Mini-Jobber Rheinbahn-Busse oder -Bahnen lenken. Auch die Essener Ruhrbahn bemüht sich darum, Mitarbeiter länger im Beruf zu halten. Im vergangenen Jahr wurde eine Betriebsvereinbarung geschlossen, die die Rahmenbedingungen für eine Beschäftigung über den Regelrenteneintritt hinaus festlegt. 

Laut einer Umfrage des VDV müssten bis zu 8000 Fahrer eingestellt werden, um das altersbedingte Ausscheiden von Mitarbeitenden zu kompensieren und den Status quo aufrechtzuerhalten. Für die Verkehrswende müssen bundesweit bis 2030 weitere 110.000 Beschäftigte eingestellt werden.

Die Bundesregierung hat zuletzt die Regelungen gelockert, um mehr Nicht-EU-Bürger auf den Arbeitsmarkt zu locken. Am 1. März trat das Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung in Kraft. Menschen aus Drittstaaten können künftig in Deutschland arbeiten, wenn sie mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufs- oder Hochschulabschluss haben. Sie müssen keine in Deutschland anerkannte Ausbildung vorweisen.

In immer mehr Bundesländern werden derzeit neue Tarifabschlüsse mit besseren Arbeitsbedingungen abgeschlossen. Unternehmen und Gewerkschaften hoffen gleichermaßen, dass damit wieder mehr Menschen für die Arbeit im ÖPNV gewonnen werden können.

Von Christian Rothenberg und Matthias Arnold, dpa