Die Corona-Krise hat in Deutschland nicht nur dem Onlinehandel einen massiven Boom beschert, auch das Einkaufen im eigenen Stadtviertel oder im «Laden um die Ecke» erlebte eine Renaissance.
«Lokale Läden haben in der Pandemie an Relevanz gewonnen», fasste am Dienstag der PwC-Handelsexperte Christian Wulff das Ergebnis einer Umfrage des Beratungsunternehmens zusammen. Gerade Menschen im Homeoffice kauften gerne im Laden um die Ecke ein. Das Branchenfachblatt «Textilwirtschaft» titelte kürzlich sogar: «Die Quartiere sind die bessere Innenstadt».
Fest steht: Die Corona-Krise war und ist für Fußgängerzonen der Großstädte ein Härtetest. Der Lockdown sorgte für verwaiste Einkaufsstraßen. Und selbst wenn die Läden zeitweise öffnen durften, blieben die Kundenzahlen angesichts der Infektionsängste in der Regel weit unter dem «normalen» Niveau.
Das Konsumverhalten der Verbraucher hat sich in der Pandemie spürbar verändert – zu Lasten der klassischen Einkaufsmeilen. Die Menschen kaufen unabhängig von ihrem Alter immer mehr online ein. Im Modebereich decke mittlerweile fast jeder zweite Verbraucher (46 Prozent) seinen Bedarf überwiegend im Internet, berichtete PwC. Bei Elektronik bevorzuge mehr als jeder Dritte (38 Prozent) das Onlineshopping gegenüber dem klassischen Einkauf im Laden. Besonders beliebt sei der Einkauf im Internet bei den Millennials, also der Altersgruppe der 25- bis 39-Jährigen.
Doch profitierten der Umfrage zufolge eben nicht nur die Onlineanbieter von der Pandemie, sondern auch viele Händler in den Stadtvierteln abseits der Innenstädte. Michel Gerling vom Kölner Handelsforschungsinstitut EHI sieht hier auch für die Zeit nach der Pandemie durchaus ein gewisses Zukunftspotenzial. «Der Trend zum Homeoffice könnte dem Einzelhandel in Klein- und Mittelstädten, aber auch den Geschäften im Speckgürtel der Metropolen und in manchen Stadtvierteln eine kleine Renaissance bescheren, weil viele Beschäftigen nicht mehr in die Großstädte fahren müssen.»
Der Handelsexperte warnte allerdings auch davor, ein zu optimistisches Bild der Lage der kleinen Händler abseits der Fußgängerzonen zu zeichnen. «Natürlich kaufen Menschen, die im Homeoffice sind, mehr bei sich im Viertel ein. Und Textilhändler in der Nachbarschaft konnten davon vielleicht auch etwas profitieren. Aber das reichte bei weitem nicht aus, um die Einbußen durch den Lockdown wettzumachen.»
Dass viele Innenstädte Schwierigkeiten bekommen könnten, hatte sich schon vor Corona abgezeichnet. Der immer gleiche Mix der Modefilialisten langweilte vor allem jüngere Verbraucher. «Die treuesten Anhänger*innen der Innenstädte werden immer älter», fand das Institut für Handelsforschung Köln (IFH) in seiner Studie «Vitale Innenstädte» heraus. Die jüngeren Verbraucher machten sich dagegen zunehmend rar. Waren 2016 noch 21 Prozent der Besucher in den Fußgängerzonen 25 Jahre oder jünger, so waren es 2020 nur noch 16 Prozent.
Corona hat die Entwicklung noch einmal dramatisch beschleunigt. Immer lauter wird deshalb inzwischen auch im Handel selbst der Ruf nach einer Neuerfindung der Innenstadt. Der Einzelhandel werde in den Stadtzentren zwar weiter eine große Rolle spielen, sagte kürzlich der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Stefan Genth. Doch er werde in Zukunft längst nicht mehr so dominierend sein wie in der Vergangenheit. Genth plädierte für einen neuen Mix aus Einkaufen, Wohnen, Dienstleistungen, Gewerbe, Kultur, Freizeit und Bildung in den Innenstädten.
Handelsexperte Gerling sieht dennoch keinen Grund für Schwarzmalerei. «Ich würde die Stadtzentren nicht abschreiben. Die großen Innenstädte haben eine extreme Anziehungskraft und werden zu ihrer Bedeutung zurückkehren», sagte er. Das werde zwar vielleicht eine Weile dauern, weil sich nach der Pandemie vieles neu einpendeln müsse.
Viele Modehändler dünnten derzeit ihre Filialnetze aus. Doch stünden Möbelhändler, Baumärkte, Supermarktketten und Discounter bereit, die Lücken zu füllen, wenn die Miete stimme. Der Branchenkenner ist überzeugt: «Mittel- und langfristig könnten die Innenstädte sogar attraktiver werden, weil es dort ein vielfältigeres Angebot geben wird als heute.»
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