Rekordverlust und Rekordschulden, aber auch eine ehrgeizige Job- und Investitionsoffensive: Die Deutsche Bahn trifft es im Corona-Krisenjahr hart – dennoch gibt sich der Konzern zuversichtlich.
Im vergangenen Jahr hat das bundeseigene Unternehmen den größten Verlust seiner Geschichte eingefahren, wie Finanzvorstand Levin Holle am Donnerstag in Berlin mitteilte. 5,7 Milliarden Euro betrug das Minus unterm Strich im Jahr 2020, nachdem es im Jahr zuvor noch einen Gewinn von immerhin 680 Millionen Euro gegeben hatte. Zugleich stiegen die Verbindlichkeiten des Konzerns auf historisch hohe 29,3 Milliarden Euro.
Noch vor der Krise war der Konzern von einem Fahrgastrekord zum nächsten geeilt. Doch während der Pandemie nutzen nur noch wenige Menschen den Zug. Mit 20 bis 25 Prozent liegt die Auslastung laut Personenverkehrsvorstand Berthold Huber derzeit bei lediglich rund einem Drittel des Vorkrisenniveaus. Dennoch hat die Bahn einen Großteil des Angebots stets aufrecht erhalten.
Auch deshalb beliefen sich die Krisen-Schäden laut Finanzchef Holle allein für den Systemverbund in Deutschland im vergangenen Jahr auf rund 4,1 Milliarden Euro. «Dazu kommen nochmal Schäden in der Größenordnung von insgesamt 2 Milliarden Euro aus den anderen Bereichen», sagte Holle. Den größten Anteil daran trügen Abschreibungen auf die Auslandstochter Arriva, die in vielen Ländern unterwegs ist, in denen die Krise noch heftiger gewütet hat als in Deutschland.
Dennoch ist sich Konzernchef Lutz sicher: «2020 war kein verlorenes Jahr für die Deutsche Bahn.» In der Klimastrategie des Bundes spielt der Schienenverkehr eine entscheidende Rolle. Und dafür braucht es auch in einer Krise Kontinuität – personell und finanziell.
An der Modernisierung und Digitalisierung der bestehenden Infrastruktur etwa will der Konzern deshalb festhalten und dafür allein im laufenden Jahr rund 12,7 Milliarden Euro investieren. Auch das ist Rekord. Die dafür notwendige Einstellungsoffensive soll ebenfalls fortgesetzt werden.
Das Ziel bleibt: Bis 2030 will die Bahn die Zahl der Fahrgäste im Vergleich zum Vorkrisenniveau verdoppeln. «Ich bin ganz sicher: Die Menschen werden in unsere Züge zurückkehren und auch ihre Güter mehr denn je umweltfreundlich auf der Schiene befördern», sagte Lutz.
Am Vortag verlängerte der Aufsichtsrat die Verträge von Lutz sowie der beiden Vorstände Huber (Personenverkehr) und Ronald Pofalla (Infrastruktur). Die Bahn wartet zudem darauf, dass die EU-Kommission endlich vom Bund zugesagte Hilfen in Höhe von 5 Milliarden Euro freigibt. Hinzu kommt eine üppige Eigenkapitalerhöhung von 11 Milliarden Euro, verteilt auf 10 Jahre, die die Bundesregierung im Klimapaket von 2020 versprochen hatte.
Auf der Gegenseite muss der Konzern sparen, insbesondere bei den Personalkosten: Mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) einigte sich die Arbeitgeberseite im vergangenen Jahr auf eine Nullrunde für 2021. Erst im kommenden Jahr sollen Löhne und Gehälter um 1,5 Prozent steigen. Die Tarifverhandlungen mit der konkurrierenden Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) stehen allerdings noch aus.
Boni-Zahlungen und Gehälter für die Vorstände sorgten deshalb in den vergangenen Wochen immer wieder für Streit: Eine Gehaltserhöhung von zehn Prozent, die mit der Vertragsverlängerung für die drei Vorstände eigentlich einhergegangen wäre, ist nach der Aufsichtsratssitzung am Mittwoch vorerst vom Tisch und soll im nächsten Jahr neu besprochen werden.
Bereits 2022, so teilte die Bahn mit, wolle der Konzern wieder einen operativen Gewinn machen. «Diese Zuversicht teile ich nicht», sagte EVG-Chef Klaus-Dieter Hommel. «Ich glaube, dass der Prozess wesentlich länger dauern wird, bis die Bahn wieder in der Gewinnzone ist.» Dazu gehöre auch, dass das Unternehmen in der Lage sein müsse, seine Investitionen selbst zu tragen und seine Verschuldung abzubauen.
Bei der Opposition im Bundestag sowie den Wettbewerbern der Bahn stoßen die Finanzen ebenso wie die Investitionspläne seit jeher auf Skepsis. So äußerte etwa das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), in dem vor allem die Güterkonkurrenten der Bahn organisiert sind, Zweifel daran, dass die Verluste ausschließlich auf Corona zurückzuführen seien. Unabhängig von der Krise mangele es an Qualität und Effizienz, teilte NEE-Geschäftsführer Peter Westenberger am Donnerstag mit. «Derzeit erkauft sich die Regierung politische Ruhe
und Zeit mit Steuergeldern, die zu einem erheblichen Teil nicht-investiv eingesetzt werden.»
Diese Kritik weisen Konzern und Bundesregierung stets zurück: Das Geld fließe ausschließlich in die Infrastruktur und komme somit auch den Wettbewerbern zugute. Die Frage bleibt jedoch, ob der Bund auch langfristig die finanzielle Kontinuität garantieren kann, die es für den Ausbau der Schieneninfrastruktur braucht. Schließlich ist die Bahn derzeit nicht das einzige Sorgenkind, um das sich mit viel Geld gekümmert werden muss.
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