Die deutsche Industrie sucht einen neuen Kurs beim Handel mit autokratischen Staaten wie China und Russland.
In einem neuen Diskussionspapier unterstreicht der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) das Bekenntnis zur weltweiten gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen. Die Kernaussage: Firmen sollten grundsätzlich weiter Geschäfte in Ländern machen, in denen liberale und demokratische Werte nicht geteilt werden – Menschenrechtsverletzungen und andere Missstände sollen aber nicht unter den Tisch gekehrt, sondern mit «offenem Visier» benannt werden und auch zu Konsequenzen führen.
«Rote Linien aus politischen Gründen oder zum Schutz von Umwelt und Menschenrechten werden von Staaten gezogen», heißt es in dem Papier mit dem Titel «Außenwirtschaftspolitische Zusammenarbeit mit Autokratien», das der dpa vorliegt. «Das entbindet Unternehmen nicht von der Pflicht, für ihr globales Engagement selbst rote Linien zu definieren.»
BDI-Präsident Siegfried Russwurm sagte der dpa, es gehe um eine Koexistenz von verschiedenen Systemen, die miteinander im Wettbewerb stehen, aber auch kooperieren müssten. «Globale Herausforderungen wie Klima- und Umweltschutz oder Armutsbekämpfung erfordern Kooperation – auch zwischen unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Systemen.»
Umgang mit China
Hintergrund des Papiers sind etwa Menschenrechtsverletzungen in China und die Frage, wie sich Firmen verhalten sollen – etwa in der chinesischen Region Xinjiang. Menschenrechtsgruppen schätzen, dass Hunderttausende Uiguren in Xinjiang in Umerziehungslager gesteckt worden sind. China weist die Vorwürfe zurück und spricht vielmehr von Fortbildungszentren.
Dazu kommt in Deutschland die Debatte um ein Lieferkettengesetz, damit deutsche Firmen Standards einhalten. Es soll einen Beitrag gegen Hungerlöhne oder Kinderarbeit leisten.
«Die deutsche Wirtschaft befindet sich ständig im Dialog mit ausländischer Wirtschaft und Politik, selbstverständlich auch mit Staaten, die unsere heimischen Wertvorstellungen herausfordern», so Russwurm. Staaten wie China oder Russland stünden für relevante Anteile des deutschen Außenhandels und seien bedeutende Ziel- und Herkunftsländer ausländischer Direktinvestitionen.
Eigene Werte vs. Kompromissfähigkeit
«Die deutsche Industrie muss nach eigenen Werten handeln und wahrgenommene Defizite benennen dürfen, aber im Alltag auch kompromissfähig agieren, um Wohlstand, Entwicklungschancen und Aufstiegsmöglichkeiten im In- und Ausland zu schaffen», sagte der Industriepräsident. «Auch wenn in den internationalen Beziehungen das Primat der Politik gilt, haben Unternehmen eine wichtige Rolle im Austausch zwischen Ländern – und müssen sich daher auch zu politischen Themen verhalten.»
In dem Papier heißt es, die Idee des «Wandel durch Handel» stoße aktuell an ihre Grenzen. «Die Erwartung, dass internationale wirtschaftliche Verflechtungen automatisch zur Entwicklung von marktwirtschaftlichen und demokratischen Strukturen führen, kann derzeit kaum erfüllt werden.» Vor allem China sei in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch zu einem Systemkonkurrenten liberaler Gesellschaften aufgestiegen. «Chinas parteistaatlich gelenkte Hybridwirtschaft hat sich als äußerst anpassungsfähig erwiesen.»
Weiter heißt es: «Dennoch gilt: Je besser die EU mit ihrem Werte- und Wirtschaftsmodell funktioniert, desto erfolgreicher werden diese Ideen global wirken. Je schwächer die EU und die wertebasierte Gemeinschaft liberaler Demokratien insgesamt politisch und gesellschaftlich agiert, desto stärker wirken hingegen konkurrierende Einflüsse.» Deswegen müsse sich die die EU gemeinsam mit Partnern wie den USA, Kanada, Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland und anderen als wertebasierte Gemeinschaft erfolgreich neu aufstellen.
«Verantwortungsvolle Koexistenz»
Der BDI spricht sich in dem Papier für das Konzept einer «verantwortungsvollen Koexistenz» aus und schlägt Leitlinien für Politik und Unternehmen vor. «Insgesamt geht es um den Erwerb und die Sicherung einer «license to operate» in politisch schwierigem Umfeld, insbesondere in Ländern mit autokratischen Regimen.»
So heißt es, die Geschäftstätigkeit deutscher Unternehmen im Ausland müsse sich den in der EU geltenden Wertegrundsätzen verpflichten. Die Industrie setze sich ein für die Menschen- und Arbeitnehmerrechte, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, in Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation und der EU-Menschenrechtskonvention niedergelegt seien. «Unsere Unternehmen ergreifen Maßnahmen, um die Beteiligung an Kinderarbeit und Zwangsarbeit im In- und Ausland auszuschließen.»
Soziale Verantwortung sei Teil der «DNA unserer Unternehmen», heißt es in dem Papier. «Wir wenden uns gegen Korruption und Bestechung und sichern die Transparenz sowie die Integrität in unseren Unternehmen und im Verhältnis zu öffentlichen Auftraggebern, Kunden und Zulieferern.» Die Industrie unterstütze eine Politik, welche die Spreizung zwischen Arm und Reich in und zwischen den Gesellschaften verringerte. Staatliche Wirtschaftssanktionen gegen einzelne Länder müssten immer Teil einer umfassenden außen- und sicherheitspolitischen Strategie sein. «Gegenseitige Abschottung sollte vermieden werden.»
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