Trotz Energiekrise und hoher Inflation ist die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal überraschend gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg gegenüber dem Vorquartal um 0,3 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Freitag in einer ersten Schätzung mitteilte.
Ökonomen hatten angesichts der wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges im Schnitt dagegen mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung gerechnet. Sie erwarten, dass Europas größte Volkswirtschaft in den kommenden Quartalen schrumpft und damit in eine Rezession rutscht.
Nach dem leichten Anstieg im zweiten Quartal um 0,1 Prozent habe sich die deutsche Wirtschaft trotz schwieriger weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen mit anhaltender Corona-Pandemie, gestörten Lieferketten, steigenden Preisen und dem Krieg in der Ukraine behauptet, erläuterte die Wiesbadener Behörde. Die Wirtschaftsleistung sei vor allem von den privaten Konsumausgaben getragen worden.
Gegenüber dem Vorjahreszeitraum wuchs das BIP preis- und kalenderbereinigt um 1,2 Prozent. Im Vergleich zum vierten Quartal 2019, dem Zeitraum vor Beginn der Corona-Krise, wurde erstmals das Vorkrisenniveau übertroffen.
Experten erwarten harten Winter
Ökonomen gehen aber davon aus, dass der deutschen Wirtschaft ein harter Winter bevorsteht. Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer dürfte es sich bei dem unerwartet guten Quartalsergebnis nur «um die Ruhe vor dem Sturm handeln». Die hohe Inflation lasse die Kaufkraft der Konsumenten einbrechen. «Alles spricht für ein Schrumpfen der deutschen Wirtschaft im Winterhalbjahr.»
Ähnlich sieht das Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der staatlichen Förderbank KfW: «Im dritten Quartal ist das deutsche BIP überraschend gewachsen, aber für dieses und nächstes Quartal zeigen praktisch alle Indikatoren eine Rezession an.»
Zwar stabilisierte sich die Stimmung der Verbraucher zuletzt etwas. Die Situation bleibt nach Einschätzung der GfK-Konsumforscher aber angespannt. «Solange die Inflation hoch bleibt und Zweifel an einer uneingeschränkten Energieversorgung bestehen, wird sich das Konsumklima nicht spürbar und nachhaltig erholen können», sagte GfK-Konsumexperte Rolf Bürkl.
Energiepreise drücken die Stimmung
Die hohen Energiepreise belasten auch viele Unternehmen in Deutschland in wachsendem Maß. Die Stimmung in der Wirtschaft verschlechterte sich im Oktober erneut. Der Ifo-Geschäftsklimaindex fiel zum Vormonat geringfügig um 0,1 Punkte auf 84,3 Punkte. «Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft bleibt düster», kommentierte Ifo-Präsident Clemens Fuest.
Für das Gesamtjahr 2022 sagen Prognosen noch ein Wachstum für die deutsche Wirtschaft voraus. Fürs kommende Jahr insgesamt rechnen Volkswirte mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung. Zwar dürfte der sich abzeichnende Konjunktureinbruch nach Einschätzung etlicher Ökonomen heftiger ausfallen als in vielen anderen Ländern Europas, aber bei weitem nicht so schlimm werden wie im Corona-Krisenjahr 2020. Damals war das Bruttoinlandsprodukt in Europas größter Volkswirtschaft um mehr als vier Prozent geschrumpft.
Die Bundesregierung erwartet für dieses Jahr noch ein Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent, im kommenden Jahr wird mit einem Rückgang um 0,4 Prozent gerechnet. Der Arbeitsmarkt sei aber nach wie vor robust. Die Ampel-Koalition will Verbraucher und Unternehmen wegen der hohen Energiepreise mit einem «Abwehrschirm» in Höhe von bis zu 200 Milliarden Euro unterstützen.
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