Eine Abkopplung von China und anderen wichtigen Wirtschaftsnationen außerhalb der EU würde die deutsche Wirtschaft nach einer neuen Studie außerordentlich hart treffen. Ein Zusammenbruch oder ein bewusster Rückzug aus globalen Wertschöpfungsketten würde zu erheblichen Wohlfahrtsverlusten führen, argumentiert der Ökonom Gabriel Felbermayr, Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, in der veröffentlichten Untersuchung.
Eine vollständige Durchtrennung des Handels mit industriellen Zwischen- und Vorprodukten von EU und restlicher Welt würde das Realeinkommen der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland demnach kurzfristig um 20 Prozent sinken lassen. Auftraggeber der Studie war die Münchner Stiftung Familienunternehmen, Anlass die politische Diskussion um die wirtschaftliche Abhängigkeit von China und anderen Nationen. Das Realeinkommen ist eine volkswirtschaftliche Kennzahl, die die Kaufkraft abbildet: Das Einkommen eines Haushalt geteilt durch den Verbraucherpreisindex.
Warnung an die Politik
Eine Entkopplung hätte für die Volkswirtschaft nachteilige Effekte, schreiben Felbermayr und sein Ko-Autor Oliver Krebs. «Daher muss die Politik mit großer Vorsicht an das Thema herangehen, auch bei Maßnahmen, die nicht an das völlige Abkoppeln von einzelnen Lieferländern oder Sektoren heranreichen.» Die Wissenschaftler beziehen sich dabei ausdrücklich auf die von der EU angestrebte strategische Autonomie.
Dem hypothetischen Szenario der Wissenschaftler liegt die Annahme zugrunde, dass die Industrie in der EU ausschließlich innerhalb der Union europäisch produzieren und Vor- und Zwischenprodukte weder ex- noch importieren würde.
Eine solche Entkopplung der Produktionsketten von den USA würde demnach kurzfristig das Realeinkommen in Deutschland um drei Prozent absenken, eine Abkopplung von China oder Großbritannien je um zwei Prozent. Die Effekte würden laut der Modellrechnungen einzelne Wirtschaftszweige und Regionen unterschiedlich hart treffen. Langfristig könnte die deutsche Volkswirtschaft laut Studie einen Teil der Einbußen kompensieren.
Vorsicht bei diesen Branchen
Besonders empfindlich sind demnach unter anderem Nahrungsmittelbranche, Chemie, Autoindustrie und Bau. Modelliert haben die beiden Wissenschaftler die wahrscheinlichen Effekte aber auch für Länder, deren Beziehungen zur EU nicht oder nur geringfügig von politischen Kontroversen beeinträchtigt sind, darunter die Schweiz. Sollte der Zwischengüterhandel mit der Schweiz unterbrochen werden, würde das laut Studie vor allem dem angrenzenden Baden-Württemberg schaden.
Die Erfahrungen der Corona- und Ukrainekrise hätten Politik und Unternehmen zu einer Neubewertung von Lieferketten und Abhängigkeiten gebracht, kommentierte Rainer Kirchdörfer, der Vorstand der Stiftung Familienunternehmen. «Das ist vernünftig.» Doch die Studie zeige: «Die Vorteile des globalen Handels sind meist unschlagbar.»
Studienautor Felbermayr ist einer der bekanntesten Ökonomen im deutschsprachigen Raum. Er war lange Jahre am Münchner Ifo-Institut und leitete von 2019 bis 2021 das Kieler Institut für Weltwirtschaft. Seit 2021 steht er dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung vor.
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