Der gesamtdeutsche Außenhandel läuft in großen Teilen über die Seehäfen der Nord- und Ostsee sowie über Hamburg mit dem größten Hafen des Landes. Obwohl es ganz Deutschland betrifft, liegt die Zuständigkeit für die sehr teure Infrastruktur allein bei den Ländern. Das finden die ungerecht. Die Bundesregierung hat nun ihre Nationale Hafenstrategie beschlossen. Darin werden den Häfen wichtige Aufgaben zugewiesen. Ob es damit besser wird? Der aktuelle Zustand:
Warum sind die deutschen Häfen so wichtig für das Land?
Ohne die deutschen Häfen dürfte einerseits die exportorientierte Wirtschaft in weiten Teilen kollabieren, andererseits müsste die Bevölkerung auf zahlreiche auch lebensnotwendige Waren verzichten, mindestens aber deutlich mehr bezahlen. Deutschland wickelt rund 60 Prozent seines Im- und Exports über den Seeweg ab. Im vergangenen Jahr waren dies nach Angaben des Statistischen Bundesamts rund 267,8 Millionen Tonnen Güter, darunter Energie, Lebensmittel, Kleidung, Technik und Medikamente. Im Vergleich zu 2022 ging der deutsche Außenhandel im vergangenen Jahr wegen der schwierigen geopolitischen Lage und der schwachen Dynamik des Welthandels zurück – beim Export um 2,0 Prozent und beim Import um 10,1 Prozent, wie die Statistiker feststellten.
Welche Häfen sind die wichtigsten in Deutschland?
Der mit Abstand größte und wichtigste Hafen des Landes liegt in Hamburg. In ihm wurden nach Angaben der Statistiker im vergangenen Jahr mit 99,6 Millionen Tonnen so viele Waren umgeschlagen wie in allen anderen relevanten Seehäfen Deutschlands zusammen. Danach folgte Bremerhaven mit 39,2 Millionen Tonnen, Wilhelmshaven in Niedersachsen mit 29,8 Millionen Tonnen und Rostock in Mecklenburg-Vorpommern mit 23,9 Millionen Tonnen.
Wie stehen die deutschen Häfen im europäischen Vergleich da?
Es geht so. Die mit Abstand größten Häfen der sogenannten Nordrange – sie bezeichnet die wichtigsten kontinentaleuropäischen Häfen an der Nordsee, über die etwa 80 Prozent des europäischen Im- und Exports abgewickelt werden – sind Rotterdam in den Niederlanden und Antwerpen-Brügge in Belgien. Auch sie mussten beim Seegüterumschlag im Vergleich zu 2022 einen Rückgang um 6,1 beziehungsweise 5,5 Prozent hinnehmen, liegen aber deutlich vor Hamburg als Nummer drei. Gut ablesbar ist das auch am Containerumschlag: Während in Hamburg im vergangenen Jahr 7,7 Millionen Standardcontainer (TEU) über die Kaikanten gingen – der schlechteste Wert seit 2009 – waren es in Rotterdam 13,4 Millionen TEU und in Antwerpen-Brügge rund 12,5 Millionen TEU.
Wie steht es um die deutsche Handelsflotte?
Eigentlich ganz gut. Nach Angaben des Deutschen Reederverbands liegt Deutschland bei der Containerschifffahrt weltweit auf Platz eins – noch vor China. Deutscher Branchenprimus ist dabei die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd. Mit 266 Containerschiffen, einem Transportvolumen von jährlich 11,9 Millionen TEU und 16 300 Beschäftigten ist sie die derzeit fünftgrößte Reederei der Welt. Vor ihr liegen MSC (Schweiz), Maersk (Dänemark), CMA CGM (Frankreich) und Cosco (China). Die gesamte Handelsflotte Deutschlands umfasste laut Reederverband im vergangenen Jahr 1800 Schiffe, womit Deutschland weiterhin die siebtgrößte Schifffahrtsnation der Welt ist. Die ersten drei Plätze belegen Griechenland, China und Japan.
Wo ist also das Problem?
Reedereien klagen vor allem über hohe Kosten in deutschen Häfen, über den Automatisierungsgrad der Terminals und das Abfertigungstempo. In Hamburg behindert zudem die in die Jahre gekommene Köhlbrandbrücke die Erreichbarkeit einzelner Terminals mit besonders großen Containerfrachtern. Hinzu kommt, dass einzelne Reedereien ihr Flottenmanagement ändern und ihre Schiffe die Häfen nicht mehr wie an einer Perlenkette anlaufen lassen. Stattdessen steuern sie verstärkt von ihnen selbst definierte Knotenpunkte an – in der Regel Häfen und Terminals, an denen sie selbst beteiligt sind – und verteilen die Waren von dort auf kleineren Schiffen weiter. Deutsche Häfen müssen dabei nicht zwangsläufig zum Zuge kommen.
Was wollen die deutschen Häfen?
Die Häfen für die Zukunft zu rüsten und vor allem auf eine Klimaneutralität vorzubereiten, ist extrem teuer, beispielsweise allein der Ersatz der Hamburger Köhlbrandbrücke wird derzeit auf rund 4,5 bis 5 Milliarden Euro taxiert. Die Hafenwirtschaft und die Küstenländer Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern fordern deshalb vom Bund seit Langem eine deutliche Aufstockung der Bundesmittel zur Finanzierung der Seehäfen. Allein für die Infrastruktur fallen demnach pro Jahr aufgrund gestiegener Kosten 400 Millionen Euro an. Bislang zahlt der Bund lediglich 38 Millionen Euro pro Jahr für alle Häfen zusammen.
Welche Zukunftsaufgaben kommen auf die Häfen zu?
Die Hafenwirtschaft weist darauf hin, dass die Häfen für den per Gesetz vorgesehenen Ausbau der erneuerbaren Energien dringend erweitert werden müssen. «Für das Erreichen dieser Ausbauziele fehlt es in Europa in den Häfen an Umschlagkapazität für Windenergie», hieß es zuletzt beim Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) «Das gilt insbesondere für Deutschland, wo seit Jahren nicht in den Ausbau der nötigen Schwerlastflächen investiert wurde.» Das Problem betrifft insbesondere die Windkraft auf See, da die Turbinen hier besonders groß und schwer sind und oft auch in den Häfen vormontiert werden müssen. «Ohne mehr Flächen in den Häfen, kein erfolgreicher Ausbau der Windenergie und keine erfolgreiche Energiewende», so der ZDS.
Aus Sicht der Windkraftbranche sind bis zu 200 Hektar zusätzliche Schwerlastflächen in den deutschen Seehäfen nötig. «Das entspricht der Fläche eines Parkplatzes mit 260 000 Pkw oder 270 Fußballfeldern», hat die Stiftung Offshore-Windenergie vorgerechnet. Die Windenergie auf See soll bis 2045 von derzeit 8,4 auf 70 Gigawatt Leistung ausgebaut und damit ein Rückgrat der Energiewende werden. Das bedeutet Tausende neue Windräder. Die Stiftung sieht die Seehäfen als die zentralen Drehkreuze für Ausbau und Betrieb: «Ob als Basishäfen für den Bau und den späteren Rückbau der Windparks, als Servicehäfen für den Betrieb und auch die Wartung, als Lagerplatz oder als Produktionsstandort – sie nehmen vielfältige Funktionen im Bereich der Offshore-Windenergie ein.»
Die Nationale Hafenstrategie ist da – Was macht der Bund jetzt?
Mit seiner neuen Strategie weist der Bund den Häfen wichtige Zukunftsaufgaben zu: im Bereich der Energiewende, der Transformation der Industrie, der Versorgungs- und Produktionssicherheit, der neuen Sicherheitsarchitektur im Rahmen der NATO und auch im Kampf gegen Drogen- und Waffenschmuggel. Die deutschen Häfen sollen national und international wettbewerbsfähig sein und frei von kritischen Abhängigkeiten agieren, wie es in der Strategie heißt. «Mit 139 Maßnahmen wollen wir dafür sorgen, dass unsere Häfen resilient und digital werden», sagte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP).
Und was macht der Bund vorerst nicht?
Zusätzlich Geld ausgeben. Die Zuständigkeiten seien klar verteilt, sagte der Minister. «Die Zuständigkeit für die Häfen liegt bei den Ländern. Der Bund ist zuständig für die Verkehrsanbindung.» Der Bund habe in den vergangenen zehn Jahren jeweils eine halbe Milliarde im Jahr investiert. «Klar ist: Wenn es Projekte gibt, die wir gemeinsam vorantreiben wollen, die im Bundesinteresse auch liegen, dann stehen wir auch dazu, finanzielle Mittel bereitzustellen. Wir wollen aber so vorgehen, dass wir sagen: Erst brauchen wir die Pläne, dann können wir die Finanzfragen klären.» Bei der Hafenstrategie gehe es nicht einfach um die Zuweisung von Finanzmitteln.
Kann es so funktionieren?
Der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) und der Bundesverband Öffentlicher Binnenhäfen (BÖB) haben da eine klare Meinung: Der Hafenstrategie der Bundesregierung fehle eine zentrale Voraussetzung: nämlich das Geld. «Für die Hafenwirtschaft in Deutschland ist das eine große Enttäuschung.» Und auch die Verbände der Windenergiebranche sind nicht zufrieden: «Die Energiewende ist politisch durch den Bund beschlossen und stellt eine nationale Aufgabe dar, die ohne den Ausbau der notwendigen Hafenkapazitäten deutlich ausgebremst zu werden droht. » Die Küstenländer wiederum sind zumindest sind skeptisch. «Um ins Handeln zu kommen», müsse es jetzt einen erhöhten Ausgleich für die besonderen finanziellen Belastungen durch die Seehäfen geben, heißt es in einer Erklärung der Länder Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.
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