Die Zahl der Fahrräder in Deutschland ist so hoch wie nie. Angst, sich in Bus oder U-Bahn mit dem Coronavirus anzustecken, hat die Lust aufs Rad noch verstärkt. Die Verkaufszahlen lagen im zweiten Jahr der Pandemie zwar nicht mehr so hoch wie im ersten, als die Fahrradbranche Rekordabsätze vermeldete.
Aber die Umsätze steigen weiter, wie der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) am Mittwoch in Berlin mitteilte. Der Verband begründete die hohen Umsätze damit, dass die Menschen in Deutschland es beim Radfahren bequem mögen, sich öfter für ein E-Bike entscheiden und sich das auch etwas kosten lassen. Für 2022 rechnen die Experten mit einer anhaltend hohen Nachfrage nach Fahrrädern – wegen des Kriegs in der Ukraine aber auch mit Schwierigkeiten.
Vor dem Hintergrund der Diskussion um gestiegene Benzinkosten appellierte ZIV-Geschäftsführer Burkhard Stork an die Politik, die Menschen zu ermuntern, aufs Rad umzusteigen. «Dazu gehört auch, dass die Mehrwertsteuer aufs Fahrrad auf sieben Prozent gesenkt werden könnte.» Stork empfahl, nicht nur über Tankgutscheine nachzudenken, sondern zum Beispiel auch über Gutscheine für eine Fahrradreparatur.
Deutschlandweit ist die Zahl der Fahrräder innerhalb von zehn Jahren von rund 70 auf 81 Millionen im Jahr 2021 gestiegen. Allein die Zahl der E-Bikes nahm im gleichen Zeitraum von 0,9 auf 8,5 Millionen zu. Von den rund 4,7 Millionen in 2021 verkauften Fahrrädern hatten nach den ZIV-Erhebungen 2,0 Millionen einen E-Antrieb. Die sogenannten Pedelecs legten im Vergleich zum Vorjahr (1,95 Millionen) weiter leicht zu. Beim Verkauf der klassischen Fahrräder gab es dagegen ein Minus (2,7 im Vergleich zu 3,09 Millionen).
Bald jedes zweite Rad ein E-Bike?
Der Anteil der E-Bikes an den verkauften Rädern hat sich dem ZIV zufolge von 39 auf 43 Prozent erhöht. Der Verband rechnet damit, dass bald jedes zweite verkaufte Rad ein E-Bike sein wird.
Unterm Strich lag die Zahl der in 2021 verkauften Räder unter dem Niveau des Boomjahres davor (gut 5 Millionen). Allerdings ist das vergangene Jahr mit Blick auf die Verkaufszahlen dem ZIV zufolge das zweitbeste in zehn Jahren.
Gleichzeitig hat die Branche den Umsatz weiter gesteigert, wenn auch nicht mehr in der Dimension wie zuletzt: Lag er 2019 noch bei 4 Milliarden, waren es 2020 schon 6,44 und im vergangenen Jahr 6,56 Milliarden Euro. Der Trend zum E-Bike hat außerdem erneut zu höheren Durchschnittspreisen geführt. Im Schnitt kostete ein Fahrrad im vergangenen Jahr 1395 Euro – in 2020 waren es noch 1279, zehn Jahre zuvor sogar nur 495.
Gerade bei den E-Bikes gebe es aufseiten der Kunden ein zunehmendes Markenbewusstsein, wie der Verband des deutschen Zweiradhandels (VDZ) am Mittwoch mitteilte. Die E-Bikes seien Umsatztreiber Nummer eins der Fahrradbranche gewesen, sagte VDZ-Geschäftsführer Thomas Kunz.
Aus VDZ-Sicht wäre 2021 ohne das Coronavirus noch besser gelaufen: Infolge der Pandemie seien die Lieferketten unterbrochen und die Liefermengen zum Teil drastisch eingeschränkt worden. Herstellern von E-Bikes beispielsweise fehlten dem Händler-Verband zufolge einzelne Komponenten und auch Motoren.
Der ZIV rechnet für das laufende Jahr außerdem mit negativen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die Branche. Möglich seien erneut Unterbrechungen der Lieferketten. Schon spürbar seien deutlich steigende Preise für Rohstoffe wie Stahl und Nickel, sagte Stork. Das könne dazu führen, dass Fahrräder in Deutschland in den kommenden Monaten teurer werden. Probleme sieht Stork auch mit Blick auf den Arbeitskräftemangel.
ADFC: Gute Ratwege fehlen
Aus Sicht des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) hat das Thema Fahrrad noch Entwicklungspotenzial. Für den Weg zur Arbeit etwa werde das Rad noch zu wenig genutzt. «Warum? Weil die guten Radwege und Fahrradparkplätze fehlen», kritisierte ADFC-Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider. «In den Niederlanden, dem Land mit dem am besten ausgebauten Radwegenetz weltweit, liegt der Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr bei rund 30 Prozent.» Das sei rund dreimal so hoch wie in Deutschland.
Veraltete Verkehrsgesetze, fehlendes Planungspersonal und oft fehlendes Geld bremsten den schnellen Ausbau der Radwegenetze aus. «Was wir brauchen ist ein modernisiertes Straßenverkehrsgesetz», sagte Schneider. Es müsse den Kommunen leichter gemacht werden, Platz und gute Bedingungen für den Radverkehr zu schaffen. «Und wir brauchen ausreichend Geld für den Radverkehr, 30 Euro pro Kopf und Jahr für gute Radwege von Bund, Ländern und Kommunen zusammen, bisher sind es nur zehn.»
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