3. Dezember 2024

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Elektrifizierung von Bahnstrecken kommt nicht voran

Elektrifizierung von Bahnstrecken kommt nicht voran

Knapp zwei Drittel des Schienennetzes sind elektrifiziert. Drei Viertel sollen es bis 2030 sein, doch davon ist die Regierung weit entfernt. Das stellt Bahnunternehmen auch vor wirtschaftliche Probleme.

Züge sind in der Regel mit Strom unterwegs und gelten deshalb als besonders umweltfreundlich – doch auf vielen Strecken können sie aufgrund fehlender Oberleitungen gar nicht fahren. Auf mehreren Tausend Schienenkilometern in Deutschland sind deshalb ausschließlich Dieselloks im Einsatz. Bis 2030 will der Bund zwar rund drei Viertel der eigenen Schieneninfrastruktur mit Fahrdraht ausstatten, wie Oberleitungen im Branchenjargon auch genannt werden. Doch dieses Ziel ist aus Sicht von Verkehrsverbänden nicht mehr zu erreichen. 

«Selbst wenn das Geld in Massen käme, wir würden das Regierungsziel schon allein deshalb nicht schaffen, weil die Personalressourcen der Baufirmen nicht mehr ausreichen», sagte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, am Mittwoch in Berlin. Gemeinsam mit dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) setzt sich die Allianz aber für ein neues Ziel ein, bis 2035 rund 80 Prozent des Streckennetzes in Deutschland zu elektrifizieren. 

Der Bund müsste beim Ausbau viell schneller werden

Im vergangenen Jahr waren rund 62 Prozent des Bundesschienennetzes mit Oberleitungen ausgebaut und damit in etwa so viel wie im Jahr davor. Weil besonders stark befahrene Strecken in der Regel eine Oberleitung haben, liegt der Anteil des Schienenverkehrs, der elektrisch angetrieben wird, mit 90 Prozent deutlich höher. Das Ziel der Regierung sieht indes vor, den Anteil der entsprechend ausgebauten Infrastruktur bis 2030 auf 75 Prozent zu steigern. 

Um das Regierungsziel zu erreichen, müssten nach Berechnungen der beiden Verbände pro Jahr rund 600 Kilometer Elektroleitungen gebaut werden. In den vergangenen 13 Jahren kamen im Schnitt lediglich rund 80 Kilometer im Jahr hinzu. Der Bund müsste beim Ausbau fast achtmal schneller werden. «Das ist, so bedauerlich wir das finden, beim bisherigen Umsetzungsstand gänzlich unrealistisch», kritisierte Flege. Die Allianz pro Schiene hat auf Basis von Regierungsangaben die entsprechenden Bauvorhaben in den einzelnen Bundesländern ausgewertet und bis 2030 lediglich einen Anteil von 65 Prozent prognostiziert.  

Es mangelt auch an elektrifizierten Grenzübergängen

«Die Elektrifizierungslandkarte in Deutschland ist ein Flickenteppich», sagte der VDV-Geschäftsführer für den Eisenbahnverkehr, Martin Henke. In vielen Regionen, insbesondere in Mitteldeutschland, rund um den Harz, gebe es gar keine Oberleitungen. «Auch fast die gesamte Oberpfalz und Oberfranken sind fahrdrahtfrei», kritisierte er. Dabei habe die dort verlaufende Ostvariante zwischen den Seehäfen im Norden und den Alpenpässen höchste Priorität im Bundesverkehrswegeplan. 

Genauso mangele es auf internationalen Strecken, vor allem in die östlichen Nachbarländer Polen und Tschechien, aber auch nach Dänemark, an elektrifizierten Grenzübergängen, betonte Henke. Die Bahnunternehmen stelle das vor logistische und finanzielle Herausforderungen. «Elektrifizierung ist kein Selbstzweck. Sie bietet den Eisenbahnen einen preiswerteren Antriebsmodus und einen, der berechenbarer ist», sagte der VDV-Fachmann. 

Der schleppende Ausbau wird in den kommenden Jahren auch deshalb zum Problem, weil die Bahn viel befahrene Schienenkorridore grundsanieren will. So soll sich die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit im Netz wieder erhöhen. Während der Sanierungsarbeiten werden die jeweiligen Strecken zum Teil über Monate vollständig gesperrt. Viele der Umleitungsstrecken seien aber gar nicht elektrifiziert, sagte Henke. Das bedeute für die Unternehmen zusätzliche Kosten, weil neben den längeren Wegen auch unterschiedliche Antriebsarten berücksichtigt werden müssten.

Zu viele bürokratische Hürden

Mit Blick auf die schleppende Elektrifizierung haben die Verbände mehrere Hindernisse identifiziert. Zum einen seien die bürokratischen Hürden für den Ausbau zu hoch, sagten Henke und Flege. Zwar werde inzwischen deutlich schneller genehmigt und gebaut. Dennoch brauche es für jedes Oberleitungsprojekt eine Kosten-Nutzen-Rechnung, also einen Beleg dafür, dass sich das Vorhaben am Ende wirtschaftlich lohnt. «Allein dafür gehen zwei bis drei Jahre verloren», sagte Flege. 

Ein weiteres Problem sei die Finanzierung: Geld für entsprechende Projekte fließe zu langsam, zu wenig und kaum planbar. Allianz pro Schiene und VDV fordern deshalb einen Fonds, aus dem auch Oberleitungsprojekte finanziert werden können. Für ein Fonds-Modell hatte sich kürzlich auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing ausgesprochen. Unter privater Beteiligung könnten daraus sowohl Straßen- als auch Schienenprojekte finanziert werden. Über Details werde derzeit verhandelt, sagte Flege. 

Potenziell klimaneutrale Antriebe wie etwa Wasserstoff seien hingegen nur bedingt eine Alternative für den Fahrdraht-Ausbau. Zwar hätten Wasserstoffzüge im Nah- und Regionalverkehr eine hohe Reichweite. Doch sei dafür auch eine Tankinfrastruktur notwendig, die teuer sei und insbesondere bei internationalen Strecken nicht zur Verfügung stehe. «Wir brauchen die Oberleitungen auf jeden Fall», betonte Henke.

Von Matthias Arnold, dpa