Europäische Unternehmen sehen den neuen Wirtschaftskurs der chinesischen Führung mit großer Sorge. «Auf den ersten Blick scheint im Reich der Mitte zwar alles in Ordnung zu sein», sagte der Präsident der EU-Handelskammer in China, Jörg Wuttke, am Donnerstag in Peking.
So hätten viele Unternehmen im vergangenen Jahr wieder einmal Rekordzahlen bei Umsatz und Gewinn erzielt, was sich in naher Zukunft auch nicht ändern dürfte. Und auch kurzfristig blieben die Aussichten für europäische Unternehmen, die in China tätig sind, insgesamt positiv. Es gebe jedoch «besorgniserregende Anzeichen» dafür, dass sich China zunehmend nach innen wende.
«Diese Tendenz lässt erhebliche Zweifel am künftigen Wachstumspfad des Landes aufkommen», sagte Wuttke bei der Vorlage des jährlichen Positionspapiers der EU-Handelskammer. Diese verwies auf den im März auf dem Pekinger Volkskongress verabschiedeten neuen Fünfjahresplan, der als Kurs klar vorgebe, «die Abhängigkeit vom Rest der Welt zu verringern und schließlich einen hohen Grad an Autarkie zu erreichen». Kritik äußerte auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). «Pekings Fokussierung auf Autarkie und nationale Sicherheit trübt die Aussichten europäischer Unternehmen im wichtigsten globalen Wachstumsmarkt», sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang.
Dabei werde China voraussichtlich die Rolle, die ausländische Unternehmen derzeit in der Wirtschaft des Landes spielen, weiter reduzieren – insbesondere in den Hochtechnologiesektoren, sagte Wuttke: «Große Sorgen bereitet den Mitgliedern der Europäischen Handelskammer die Frage, inwieweit sie in der Lage sein werden, zum künftigen Wirtschaftswachstum Chinas beizutragen.
Auch die andauernde Reglementierung des Privatsektors des Landes sei besorgniserregend. Mit einer großen Regulierungskampagne von Staats- und Parteichef Xi Jinping wurden in den vergangenen Monaten mächtige Tech-Konzerne, der Online-Handel und Finanzdienste, die Gamingbranche, Fahrdienste, der Immobiliensektor sowie die Unterhaltungs- und Bildungsindustrie immer mehr an die Leine gelegt.
Es tobt eine heftige Debatte über die Frage, wohin der Staatschef das Milliardenreich steuert. Der will «allgemeinen Wohlstand» erreichen. Aber Kritiker warnen vor einer «neuen Kulturrevolution». Sie fürchten die Rückkehr alter Zeiten, die nur Chaos gebracht hätten.
Aus Sicht der Kammer versucht die Führung in Peking derzeit offenbar, die Kontrolle über den dynamischen Privatsektor zu verstärken, um politische Ziele zu erreichen. Gleichzeitig sollen womöglich Wege gefunden werden, «ausländische Unternehmen vom Markt und insbesondere von strategischen Sektoren auszuschließen».
Der derzeitige Kurs sei nicht nur für ausländische Firmen schlecht, die in China Geld verdienen wollen, sondern auch für die chinesische Volkswirtschaft selbst, betonte die EU-Kammer. So sei Chinas Wachstum in den vergangenen fünf Jahren bereits leicht hinter dem zurückgeblieben, wo es eigentlich sein sollte. Ein Trend, der sich fortsetzen könnte, wenn Peking sich dafür entscheide, auf mutige Marktreformen zu verzichten und stattdessen einen eher isolierten Ansatz verfolge.
Dass China sich in jedem Fall zur globalen Wirtschaftssupermacht entwickelt, sei keineswegs sicher. Die Kammer fordert von Peking: Statt sich abzuschotten, müsse China «den Geist des 1978 begonnenen Reform- und Öffnungsplans» fortsetzen, internationale Brücken wieder aufbauen und sich für eine stärkere Integration in die Weltwirtschaft einsetzen.
Der Erfolg ausländischer Unternehmen in China hängt aus Sicht des BDI immer stärker davon ab, wie gut sie sich in Pekings nationale Agenda einfügen. «Der Druck auf die Unternehmen wächst, ihre Operationen in China weitgehend zu lokalisieren», sagte Lang. Gerade Mittelständler könnten die erhöhten Kosten in Zukunft hart treffen, wenn sie zum Beispiel ihr Datenmanagement und bestimmte Innovationsprozesse in China vom globalen Geschäft abtrennen müssen.
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