Die Beschäftigung ist auf einem Hoch, die Zahl der Arbeitslosen sinkt: Der Ukraine-Krieg hat den deutschen Arbeitsmarkt bisher nicht erschüttern können.
«Dem Grunde nach sehen wir, ehrlich gesagt, keine Anzeichen für einen grundlegenden Trendwechsel in dem positiven Ausblick, trotz des Krieges», sagte der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, in Nürnberg.
Scheele: Gaslieferstopp wäre problematisch
Die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt könnte nach seiner Einschätzung am ehesten durch einen Lieferstopp für russisches Gas in Schieflage gebracht werden. «Ich würde das lieber nicht ausprobieren wollen», sagte Scheele zum Szenario eines Stopps von Gaslieferungen aus Russland. Sollten wichtige Anlagen etwa in der chemischen Grundstoffindustrie zum Stillstand kommen, könnten sie unter Umständen nicht wieder hochgefahren werden. «Das kann eine Kettenreaktion auslösen, die man alleine mit Kurzarbeit nicht auffangen kann», sagte Scheele.
Wenige Monate vor dem Ausscheiden aus seinem Amt – Nachfolgerin Andrea Nahles befindet sich bereits in der Einarbeitungsphase bei der Bundesagentur und übernimmt in Nürnberg zum 1. August das Ruder – präsentierte Scheele noch einmal positive Zahlen. Dank einer weiteren Frühjahrsbelebung sank die Arbeitslosigkeit in Deutschland im April weiter auf 2,309 Millionen Menschen ohne Job. Das sind 53.000 weniger als im März und 462.000 weniger als vor einem Jahr. Die Quote sank um 0,1 Punkte auf 5,0 Prozent. Im Vergleich zum April 2021 sank sie sogar um einen kompletten Prozentpunkt. Die Statistik stützt sich auf Datenmaterial, das bis zum 12. April vorlag.
Mehr freie Stellen «als je zuvor»
«Erfreulich ist auch, dass der positive Trend beim Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit weiter anhält», sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Nachdem die Zahl der Langzeitarbeitslosen durch die Coronakrise stark gestiegen war, sei seit Mai 2021 ein Rückgang zu verzeichnen. Dieser Trend habe sich im April mit einem deutlichen Rückgang um 21.000 fortgesetzt. «Die Stabilität des deutschen Arbeitsmarktes zeigt sich zudem dadurch, dass Arbeitgeber mehr Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit melden als je zuvor», betonte Heil.
Das ist Fluch und Segen zugleich: Nach dem Mangel an Jobs wird zunehmend der Mangel an geeigneten Arbeitskräften zum Problem auf dem Arbeitsmarkt. «Wir können es uns schlicht nicht mehr leisten, auf irgendeine arbeitswillige Kraft zu verzichten», betonte der stellvertretende Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Joachim Stamp, und plädierte für eine leichtere Integration etwa von Flüchtlingen. Der Unions-Arbeitsmarktexperte im Bundestag, Marc Biadacz, forderte unter anderem eine Ausweitung des Gesetzes zur Fachkräfteeinwanderung. «Das Problem des deutschen Arbeitsmarkts ist nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeiterlosigkeit», sagte er.
Ukraine-Flüchtlinge Option für deutschen Arbeitsmarkt
Die Flüchtlinge aus der Ukraine belasten nach Auskunft Scheeles den deutschen Arbeitsmarkt derzeit nicht, lindern aber auch nicht den Fachkräftebedarf. Von den 580.000 bisher in Deutschland registrierten Personen aus der Ukraine seien 40 Prozent Kinder und zehn Prozent Menschen, die nicht mehr im erwerbsfähigen Alter seien. Bisher hätten sich etwa 3000 Personen bei Arbeitsagenturen gemeldet.
Vom 1. Juni an – wenn die Flüchtlinge nicht mehr als Asylsuchende, sondern als Hartz-IV-Empfänger behandelt werden, könne die Bundesagentur effektiver helfen – etwa mit Deutschkursen. Den derzeit mehr als 800.000 offenen Stellen in Deutschland stünden rund 270.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter aus der Ukraine gegenüber. «Kein Flüchtling, der jetzt gekommen ist, nimmt irgendjemandem einen Arbeitsplatz weg, im Gegenteil», sagte Scheele. Es brauche nun Deutschkurse und Kita-Plätze.
Viele offene Ausbildungsstellen, viele unvermittelte Bewerber
Auf dem Ausbildungsmarkt herrscht nach wie vor Unzufriedenheit. Von Oktober 2021 bis April 2022 hatten sich bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern 339.000 Bewerberinnen und Bewerber für eine Lehrstelle gemeldet – 6000 weniger als im Vorjahreszeitraum. Von ihnen hatten im April noch 182.000 junge Menschen weder einen Ausbildungsplatz noch eine Alternative gefunden, berichtete die Bundesagentur. Gemeldet waren 466.000 Ausbildungsstellen, 33.000 mehr als vor einem Jahr. 291.000 blieben bisher unbesetzt.
Bei der Kurzarbeit gibt es gegenläufige Tendenzen – sie sinkt im Dienstleistungssektor und steigt in der Industrie, wo etwa Lieferkettenprobleme ein zusätzliches Hindernis darstellen. «Handel, Gastgewerbe und Tourismus sind faktisch draußen», sagte Scheele. Insgesamt hätten vom 1. bis 27. April Betriebe für 120.000 Menschen Kurzarbeit angezeigt. Die Anzeige muss zeitlich vor der Inanspruchnahme kommen. Die tatsächliche Kurzarbeit fällt meistens geringer aus. Hierfür liegen Daten nur bis Februar vor. In diesem Monat wurde für 723.000 Menschen Kurzarbeitergeld bezahlt.
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