Herbert Diess bleibt auch nach dem jüngsten Streit mit dem Betriebsrat an der Spitze von Volkswagen, bekommt aber weitere Führungskräfte an seine Seite.
Bei den Zukunftsthemen Elektromobilität und Digitalisierung packt Europas größter Autokonzern in den kommenden fünf Jahren weitere Milliarden drauf. Das sind die Kernergebnisse der letzten VW-Aufsichtsratssitzung 2021 vom Donnerstag. Der Überblick:
Was passiert mit Diess? Zwischen den beiden Extremvarianten «Diess muss gehen» oder «Nichts ändert sich», über die nach dem Konflikt mit dem Betriebsrat um seine Sparüberlegungen diskutiert wurde, ergibt sich eine Mischlösung: Der 63-Jährige darf an der Spitze bleiben, erhält jedoch einen anderen Zuschnitt seiner Aufgaben und Gesellschaft von neuen Kolleginnen und Kollegen.
So soll Kernmarkenchef Ralf Brandstätter in den Konzernvorstand aufrücken und im Sommer 2022 auch das bisher von Diess verantwortete China-Geschäft übernehmen. Der Posten bleibt bestehen, die Hauptmarke VW Pkw soll dann vom heutigen Skoda-Chef Thomas Schäfer übergreifend gesteuert werden. Die Gesamtkoordination der Massenmarken VW, Skoda, Seat und VW-Nutzfahrzeuge bleibt übergangsweise bei Diess. Neu ist seine formale Zuständigkeit für die Software-Sparte Cariad, die schon bisher einer seiner Lieblingsbereiche war. Die kommunikativen Querschüsse rund um einen möglichen Jobabbau hatten zu einem Machtkampf mit Betriebsratschefin Daniela Cavallo geführt.
Weitere Personalentscheidungen: Für einen neuen IT-Posten auf Konzernebene hatte VW lange gesucht, zunächst hatte sich eine sicher geglaubte Besetzung zerschlagen. Jetzt sind die Wolfsburger mit der früheren Deutsche-Börse-Managerin Hauke Stars fündig geworden. Mit der Audi-Managerin Hildegard Wortmann kommt eine weitere Frau in den Vorstand. Dafür scheidet Hiltrud Werner als Leiterin des Rechtsressorts aus, auf sie folgt VW-Chefjustiziar Manfred Döss. Der Vertrag von Personalvorstand Gunnar Kilian wird verlängert.
E-Mobilität, Software und Digitales: Im Wettstreit mit Konkurrenten wie Tesla und chinesischen E-Autobauern greift VW tiefer in die Tasche. Über die kommenden fünf Jahre sollen 56 Prozent der Gesamtsumme – gut 89 Milliarden Euro – für den Umbau zu alternativen Antrieben sowie zur Digitalisierung von Modellen und Produktionsverfahren ausgegeben werden. Ende vorigen Jahres hatte der Betrag bei 73 Milliarden Euro gelegen.
Parallel baut Diess Cariad aus, um die Fertigungstiefe der Software- und Steuersysteme zu erhöhen. Die Investitionen speziell in neue Technologien könne man trotz der weltwirtschaftlich nicht einfachen Lage aus eigenen Mitteln stemmen, hieß es am Donnerstag. 2026 sollen ein Viertel der verkaufen Konzernautos reine Stromer sein. Umweltschützer stören sich daran, dass VW weiter viele große SUVs im Programm habe.
Mehr eigene Software ist ein zentrales Thema bei vielen Autobauern. Ihnen geht auch darum zu verhindern, dass in Zukunft IT-Riesen aus den USA und Asien den Ton angeben – nicht nur Apple soll an einem Fahrzeug arbeiten. VW verplant bis Ende 2026 rund 30 Milliarden Euro allein für Digitalisierung und das autonome Fahren.
Investitionen insgesamt: Rechnet man alle Kategorien zusammen, veranschlagt die Volkswagen-Gruppe in den kommenden fünf Jahren 159 Milliarden Euro – ebenfalls mehr als bei der vorangegangenen Runde (150 Mrd Euro). Chinesische Joint Ventures sind dabei außen vor. Der Anteil der Sach- und Entwicklungsinvestitionen am Umsatz der Auto-Kernsparte soll jedoch etwas sinken, damit VW profitabler wird.
Werke und Modelle in Niedersachsen: Das VW-Heimatland erhält mit 21 Milliarden Euro wieder einen großen Teil der Summe. Für das Stammwerk Wolfsburg, das unter mangelnder Auslastung infolge der Chipkrise leidet, sind zur Fahrzeugfertigung bis 2026 laut Betriebsrat gut 1,6 Milliarden Euro verplant, etwas mehr als Ende 2020.
Die Aufseher segneten die Planung einer separaten Fabrik für das künftige Elektro-Kernmodell Trinity ab 2026 ab. Eine sechsstellige Stückzahl pro Jahr ist in der letzten Ausbaustufe angepeilt. Außerdem soll bei besonders hoher Nachfrage der erste Vertreter der aktuellen E-Reihe, der ID.3 aus Zwickau, auch in Wolfsburg hergestellt werden – zunächst mit einer Teile-Zulieferung, ab 2024 in Vollfertigung. VW bestätigte auch das neue Entwicklungszentrum Sandkamp für 800 Millionen Euro.
Am Hauptsitz der leichten Nutzfahrzeuge in Hannover startet 2022 der E-Kleinbus ID.Buzz. Den ab 2025 vorgesehenen «Tesla-Fighter», ein digitales Oberklasse-SUV, setzt nun primär Audi um. Porsche zieht sich wegen abweichender Plattformpläne zurück – wohl nach Leipzig. Einen Teil der freiwerdenden Kapazitäten sollen ein E-Camper-Mobil (ID.California) und Ableger des Multivans ausfüllen. Für ein neues Bentley-Modell entstehen in Hannover Karosserien. Zudem wird von hier das autonome Fahren gesteuert.
In Emden läuft nach dem Abzug des Passats ab 2023 der Nachfolger Aero an, vorher ab dem Frühjahr 2022 – wie in Zwickau – der ID.4. Die Fabrik in Ostfriesland wird in der Planungsrunde dem Betriebsrat zufolge mit über einer Milliarde Euro bedacht.
Für die internen Zulieferwerke gibt es ebenfalls frisches Geld. So fertigt Braunschweig neue Lenkungen und Achsen, die Fabrik wird zudem auf die neue E-Plattform SSP vorbereitet. In Salzgitter fließt der Großteil der Summe in den Aufbau der Batteriezellfertigung. Mit dem Partner Umicore soll Elektroden-Material produziert werden, das ab 2025 für jährlich 20 Gigawattstunden (GWh) dort ausreicht. Später soll die Energiemenge auch für die Zellfertigung in anderen Werken auf bis zu 160 GWh steigen.
Sonstige Werke und Marken: Die Standorte in Sachsen werden für die Produktion weiterer Elektromodelle vorbereitet. Chemnitz rüstet sich überdies für neue Motortechnik. Das Getriebewerk Kassel erhält weitere Mittel für Elektroteile, aber auch für neue Abgasanlagen. Audi baut die Elektrifizierung unter anderem in Neckarsulm aus.
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