22. November 2024

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Für mehr Klimaschutz – Was Gaskraftwerke leisten könnten

Deutschland will sich von Atom und Kohle verabschieden. Doch Wind und Sonne sättigen den Bedarf (noch) nicht. Den Übergang will die Regierung mit Gaskraftwerken schaffen. Doch viele Fragen sind offen.

Sie sollen Deutschland helfen beim Brückenschlag in eine Zukunft ohne Treibhausgase: Gaskraftwerke.

Als die EU-Kommission zum Jahreswechsel vorschlug, die Anlagen unter bestimmen Bedingungen als nachhaltig einzustufen, brach hierzulande eine heftige Diskussion los. Denn auch die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP setzt auf dem Weg zu einer zunehmend klimafreundlichen Energiegewinnung auf diese Art der Stromerzeugung.

Welche Rolle spielt Gas bei der Energiewende?

Bis zum Jahresende sollen die letzten Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen. Bis 2038 – «idealerweise» sogar bis 2030, wie es im Koalitionsvertrag steht – will die Bundesrepublik im Sinne des Klimaschutzes auch die Gewinnung von Strom aus Kohle beenden. An die Stelle von Atomkraft und fossilen Energien sollen erneuerbare Energien treten.

Doch bis genügend erneuerbare Energien zur Verfügung stehen, brauche es Gaskraftwerke, halten SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag fest. Diese sollten aber so gebaut werden, dass sie später auch mit klimafreundlichem Wasserstoff betrieben werden könnten. «Erdgas ist für eine Übergangszeit unverzichtbar.» Diese Einschätzung liegt auch darin begründet, dass die Energieerzeugung aus Wind und Sonne je nach Wetterlage schwankt.

Lohnt sich der Betrieb für Energiekonzerne?

Hier sieht der Verband Zukunft Gas, ein Zusammenschluss von Akteuren aus der Gasbranche, den Gesetzgeber gefragt. Nach den aktuellen Regeln des Strommarkts werde nur Energie vergütet, die tatsächlich produziert werde. «Das Vorhalten von Produktionskapazitäten – die Versorgungssicherheit – hingegen hat keinen Preis.» Das könne man anders regeln.

Auch der Energieökonom Manuel Frondel vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen sieht offene Fragen: «Wenn Gaskraftwerke in ferner Zukunft immer häufiger zur Untätigkeit verdammt sind, könnte es sein, dass ein sogenannter Kapazitätsmarkt etabliert werden muss.» In solch einem Markt würden Kraftwerksbetreiber schon für das Vorhalten von Kraftwerksleistung bezahlt. «Aber soweit sind wir noch nicht: Es gilt abzuwarten, ob der Markt es nicht doch richten kann, bevor ein weiterer Subventionsmechanismus namens Kapazitätsmarkt eingeführt wird.»

Der Energieversorger RWE sieht jetzt die Politik am Zuge. «Damit sich neue Gaskraftwerke perspektivisch auch bei einer zu erwartenden geringen Anzahl an jährlichen Betriebsstunden rechnen, sind Anreize für Investitionen erforderlich», sagt ein Sprecher. «Zudem wird Klarheit benötigt, was die spätere Umstellung auf den Betrieb mit Wasserstoff betrifft.» Das Unternehmen betreibt in Deutschland bereits Gaskraftwerke mit vier Gigawatt Kapazität. RWE plant den Neubau von weiteren mindestens zwei Gigawatt.

Wie viele Gaskraftwerke müssen gebaut werden?

Hier liegen die Expertenschätzungen weit auseinander. Anfang Januar waren in Deutschland laut Bundesnetzagentur Gaskraftwerke mit einer Kapazität von knapp 31 Gigawatt am Netz. Das Energiewirtschaftliche Institut an der Uni Köln geht davon aus, dass für einen vorgezogenen Kohleausstieg ein Neubau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken mit einer Kapazität von insgesamt 23 Gigawatt notwendig ist. Die für den Bundesverband der Deutschen Industrie erstellte Studie Klimapfade 2.0 rechnet sogar damit, dass aus Gründen der Versorgungssicherheit bis 2030 neue Gaskraftwerke mit 43 Gigawatt Kapazität nötig sind.

«Eine Prognose ist schwierig, nicht nur weil es die Zukunft betrifft, die wir alle nicht kennen, sondern weil die Politik die Rahmenbedingungen setzen muss», sagt Frondel. Um den Stromverbrauchern sehr hohe Kosten zu ersparen, sei es wünschenswert, wenn der Ausbau der Gaskraft möglichst ohne Kapazitätsmarkt erfolge.

«Andernfalls könnte es leicht zu einem übermäßigen Zubau von rund 43 Gigawatt an Erdgasleistung kommen und sämtliche jüngst abgeschalteten und noch abzuschaltenden Atom- und Kohlekraftwerke durch Gaskraftwerke ersetzt werden. Das wäre definitiv zu viel des Guten.» Eine Rolle spielt laut Frondel auch der Ausbau der grenzüberschreitenden Netze. «Wenn wir mehr Strom importieren können, müssen weniger Gaskraftwerke bei uns gebaut werden», sagt der Leiter des Kompetenzbereichs «Umwelt und Ressourcen» beim RWI.

Welche Alternativen gäbe es?

«Um die Schwankungen in der Erzeugung erneuerbarer Energien auszugleichen, sollten wir nicht auf Gas setzen, sondern auf den Ausbau von Speichermöglichkeiten und Stromnetzen», meint auch Reniee Vietheer von der Umweltorganisation Greenpeace. «Wenn es einen vorübergehenden Überschuss an erneuerbaren Energien gibt, brauchen wir verschiedene Speichermöglichkeiten.»

DIW-Expertin Franziska Holz ist skeptisch, ob Wasserstoff wirklich eine große Rolle spielen wird in der Stromerzeugung. Zum Füllen von Angebotslücken bei Erneuerbaren ließe sich gegebenenfalls auch weiter Erdgas nutzen, jedenfalls solange es nur um kleine Mengen gehe.

Wie aufwendig wäre die Umrüstung auf Wasserstoff?

«Die Umrüstung von Gaskraftwerken auf Wasserstoff wäre sehr aufwendig und teuer, und auch Wasserstoff dürfte knapp und damit am Ende teuer sein», erklärt Holz. Zukunft Gas hält den technologischen Aufwand hingegen für überschaubar. Große Teile der Technik hätten nichts mit dem Gas zu tun. Allerdings brauche ein Wasserstoff-Kraftwerk eine andere Gasturbine. «Sie ist das Herzstück der Anlage und kostet aufgrund der neueren und noch unbekannteren Technik bei Wasserstoff mehr als bei Erdgas.» Doch diese Kosten würden im Laufe der Zeit sinken und fielen bei einer Investition in ein Kraftwerk auch nicht so stark ins Gewicht. «Das Kritische sind die Brennstoffkosten, aktuell ist Wasserstoff etwa doppelt so teuer wie Erdgas.»

Wie sieht die Umweltbilanz von Gas aus?

«Im Vergleich zu einem Kohlekraftwerk fallen beim Betrieb eines Gaskraftwerkes im Durchschnitt 65 Prozent weniger CO2-Emissionen an», stellt Zukunft Gas heraus. Die Gaswirtschaft arbeite zudem seit Jahren daran, Leckagen in der Infrastruktur zu verhindern. «Insgesamt belaufen sich die Methanverluste aus Produktion und Transport des in Deutschland verwendeten Gases auf etwa 0,3 Volumen-Prozent.»

DIW-Expertin Holz ist da weniger optimistisch. «Zu Leckagen und ihren möglichen Auswirkungen auf die Klimabilanz von Gas gibt es leider derzeit noch keine verlässlichen Daten», sagt sie. Damit sei erst im nächsten oder übernächsten Jahr zu rechnen.

Von Martina Herzog und Helge Toben, dpa