Angesichts der gewaltigen Zerstörungen und des Leids in der Ukraine sind Hunderttausende Menschen nach Deutschland gekommen – vor allem Frauen, Kinder und Alte. Viele dürften vorerst nicht in ihre Heimat zurückkehren.
Wo aber sollen all die Menschen wohnen? Lassen sich die Flüchtlinge einigermaßen gleichmäßig auf Deutschland verteilen oder kommen die Wohnungsmärkte in den Städten noch mehr unter Druck? Während manche Immobilienverbände fordern, die Bundesregierung müsse ihr Wohnbauziel erhöhen, beruhigen Experten. Sie halten die Zuwanderung für handhabbar – unter Bedingungen.
Nach Jahren starker Zuwanderung hatte sich die Lage in den Ballungsräumen zuletzt etwas beruhigt: Während der Pandemie kamen weniger Menschen nach Deutschland, der Neubau zog an. Mit den Ukraine-Flüchtlingen zeichne sich eine Kehrtwende ab, glaubt Thorsten Lange, Ökonom bei der DZ Bank. «Die Entspannung am Wohnungsmarkt ist erst einmal passé».» Angesichts der Zerstörung ihrer Heimat und guter Jobaussichten hierzulande dürften viele Flüchtlinge länger bleiben. «Damit würde die Wohnungsnachfrage einen erheblichen Schub bekommen.»
Mehr als 402.000 Flüchtlinge angekommen
Anders als in der Krise 2015, als viele junge Männer aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland flohen, gehe es nun hauptsächlich um Familien mit Kindern, schreibt Lange. «Somit werden neben den Wohnungen auch Plätze in Kitas und Schulen benötigt.» Bisher sind laut Bundesinnenministerium mehr als 402.000 Flüchtlinge (Stand 4. Mai) aus der Ukraine angekommen. Die genaue Zahl ist nicht bekannt.
Es sei noch früh, um zu spekulieren, wie sich der Flüchtlingsstrom auf den Wohnungsmarkt auswirke, sagt Michael Voigtländer, Immobilienexperte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). «Gibt es einen Waffenstillstand, dürften einige Menschen in die Ukraine zurückgehen.» Im Falle eines jahrelangen Konflikts wie in Syrien dürften hingegen noch mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
DZ-Bank-Analyst Lange verweist auf die Verteilungsfrage. Günstig wäre es, wenn sich Leerstände bei Wohnungen auf dem Land abbauten, während die Lage in Großstädten schwierig sei. Dort fehlten vor allem billige Wohnungen, so dass sich der Wettbewerb in diesem Bereich verschärfen könnte. «Der Mietanstieg könnte sich wieder beschleunigen.»
Auch Politiker sind besorgt. Viele Menschen kämen in Ostdeutschland an, besonders an Verkehrsknotenpunkten und großen Städten, sagte vor kurzem Thomas Beyer, Bürgermeister von Wismar. «Dort droht bereits eine Belastung und waren Wohnungen schon vor dem Krieg knapp.»
Der baupolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jan-Marco Luczak, und manche Immobilienverbände wie der ZIA glauben bereits, dass die Bundesregierung ihr Wohnbauziel wegen der Flüchtlinge erhöhen muss. Die Bundesregierung hatte sich zum Ziel gesetzt, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen – weit mehr, als 2020 fertig wurden (gut 306.000). Bauministerin Klara Geywitz (SPD) hält trotz Kriegsfolgen daran fest. IW-Experte Voigtländer glaubt, dass sogar weniger Neubau genügt. «310.000 neue Wohnungen pro Jahr reichen, um den Bedarf zu decken», sagt er. In 45 Prozent der Kreise werde zu viel gebaut.
Auch andere Fachleute denken, dass die Unterbringung der Menschen aus der Ukraine handhabbar ist. Analyst Jochen Möbert von der Deutschen Bank erwartet etwa eine Million Flüchtlinge. Davon dürften 250.000 in die 126 größten Städte des Landes ziehen. Möbert rechnet zwar mit einer Wohnungsknappheit 2022, die aber nächstes Jahr beseitigt sein werde.
Auch das Forschungsinstitut Empirica sieht keinen Grund zur Panik. Es kalkulierte im März in drei Szenarien mit 310.000 bis 1,29 Millionen Kriegsflüchtlingen, was einem Bedarf von 120.000 bis 500.000 Wohnungen entspreche. Da zugleich bundesweit Hunderttausende Wohnungen leer stehen und sehr schnell bezogen werden können, müsste weniger als die Hälfte der Extra-Wohnungsnachfrage durch Neubau gedeckt werden. Nötig seien einmalig 50.000 bis 230.000 Wohnungen. «Vorausgesetzt, die Flüchtlinge verteilen sich halbwegs übers Land.» Zum Vergleich: Es gibt rund 42 Millionen Wohnungen in Deutschland.
«Dramen auf Wohnungsmarkt» unwahrscheinlich
«Wir sehen bereits, dass viele der Menschen in die Ukraine zurückkehren», sagt Studienautor Harald Simons. Die Lage sei anders als bei den Flüchtlingen aus Syrien oder Afghanistan: Eine Rückreise in die Ukraine liege in Autoreichweite. Viele Ukrainer dürften hierzulande auf der Suche nach günstigen Wohnungen auf das Land gehen und weniger in Schwarmstädte wie Berlin, vermutet Simons. Die Hälfte könne in leerstehenden Wohnungen unterkommen. «Es wird wahrscheinlich keine Dramen auf dem Wohnungsmarkt geben.»
Der Zustrom sei eine Chance für ländliche Regionen und vor allem für Ostdeutschland, wo viele Ukraine-Flüchtlinge einträfen, sagt Simons. «Dort gibt es Jobs, Wohnungen und Gemeinschaften von Landsleuten.» Die Flüchtlinge hätten wegen des Fachkräftemangels gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Viele seien gut gebildet und zahlreiche Frauen erwerbstätig. Simons ist optimistisch, dass die Menschen auf dem regulären Immobilienmarkt oder bei Bekannten unterkommen. «Ich warne vor Containersiedlungen in Gewerbegebieten irgendwo am Stadtrand.»
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