Der schleppende Fortgang des ersten großen Abgas-Betrugsprozesses lässt das Landgericht Braunschweig zu einer eher ungewöhnlichen Methode greifen: Damit das Tempo endlich zunimmt, will die Kammer nun auch Staatsanwälte statt nur weiterer Zeugen befragen.
Auf diesem Weg sollen zusätzliche Aussagen in die Hauptverhandlung einfließen können – wohl um überhaupt genug Material für die nächsten Schritte zu haben. Denn die normalerweise reichlichen Einsichten aus den Auftritten der Zeugen vor Gericht sind im Fall von «Dieselgate» so spärlich, dass das gesamte Strafverfahren seit Monaten lahmt. Am Donnerstag (9.30 Uhr) soll es in der Braunschweiger Stadthalle weitergehen.
Zuletzt hatte es immer wieder Verschiebungen und Sitzungsausfälle gegeben – teils aufgrund von Corona-Infektionen, oft aber auch wegen Prozessteilnehmern, die sich auf ihr Recht zur Aussageverweigerung beriefen. Etliche der bisher geladenen Zeugen sind nämlich in Folgeverfahren zur Aufarbeitung der VW-Dieselaffäre selbst angeklagt.
Dass sie sich in der laufenden, im vergangenen September gestarteten Hauptverhandlung mit vier angeklagten Ex-Führungskräften nicht durch Antworten auf die Fragen des Vorsitzenden belasten müssen, ist ihr gutes Recht. Der manchmal schon etwas angespannt wirkende Richter Christian Schütz überlegte aber, wie die Hängepartie aufzulösen wäre.
Berichte aus Zeugenvernehmungen
Ein möglicher Weg: Einzelne Strafverfolger auch lange nach den Eröffnungsvorträgen der Staatsanwaltschaft noch einmal aus wichtigen eigenen Zeugenvernehmungen berichten lassen, um so indirekt ein Bild von den Geschehnissen rund um die Entstehung des 2015 aufgeflogenen Dieselbetrugs zu gewinnen. Welcher Vernehmungsbeamte wann befragt werden soll, steht nach Auskunft des Gerichts noch nicht fest. Dies werde man nun zunächst genauer beraten. Möglichst solle es mit dem neuen Ansatz jedoch bereits beim nächsten Termin losgehen.
Nicht nur für die vier Männer, die in der ersten Prozessrunde wegen mutmaßlichen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs mit millionenfach gefälschten Abgaswerten vor Gericht stehen, ist es eine heikle Sache. Auch das Gericht musste sich schon Vorwürfe anhören. Dabei wollte Schütz durch die Abtrennung des Verfahrensteils gegen den früheren VW-Chef Martin Winterkorn eigentlich eine Beschleunigung erreichen.
Der Ex-Konzernlenker darf der Hauptverhandlung dank eines ärztlichen Attests nach mehreren Hüft-OPs bis auf weiteres fern bleiben. Dagegen wollen Verteidiger der anderen Vier und die Staatsanwaltschaft Winterkorn im Gerichtssaal sehen, selbst falls der Angeklagte Nummer fünf die Beweisaufnahme dann komplizierter machen sollte. Doch so oder so zog es sich schon in die Länge. Auch die Ankläger versuchten, Winterkorn vorzuladen. Und 34 von 38 maßgeblichen Zeugen verweigerten die Aussage.
«Das Thema hatte eine gewisse Schamgrenze» – so brachte es ein Entwicklungsingenieur an einem der letzten Prozesstage Ende April auf den Punkt. Der 59 Jahre alte Zeuge berichtete, nach seiner Erinnerung sei über Dinge wie ein Abgas-Täuschungsprogramm betriebsöffentlich – etwa in der Kantine – nie geredet worden. Nur vor oder nach Besprechungen habe man auf den Fluren das eine oder andere Wort hören können. Bei den angeklagten Ex-Managern und -Ingenieuren hieß es bislang oft, sie seien sich keines illegalen Tuns bewusst gewesen. Insgesamt hat die Strafkammer Termine bis in den Sommer 2023 geplant.
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